15. Die „Weiße Frau“
Die „Weiße Frau" von Krems.

Oberhalb Gaisfeld, wo die Teigitsch in die Kainach mündet, wird das Kainachtal so eng, daß für die Packer Straße kaum genug Platz bleibt, Bald aber öffnet sich der Talboden, und ein mäßig hoher, steiler Bergrücken, der das Tal quer verriegelt, verhindert den Ausblick. Auf diesem Bergrücken liegen die Ruinen der einst stolzen Burg Krems, deren gewaltiger Bergfried noch heute die Baumwipfel weit überragt. Auf dieser Burg sollen Raubritter gelebt haben, denen auch die benachbarte Burg Leonrod im Gößnitztal gehörte.

Einmal, es ist schon lange her, veranstaltete der Burgherr von Krems ein großes Fest, um den Geburtstag; seiner schönen Gemahlin zu feiern; alle Ritter der Umgebung wurden eingeladen. Es wurde fleißig gezecht, gespielt und getanzt, und alle wünschten der jungen Burgfrau noch viele Jahre des Glückes und der Freude. Mitternacht war schon lang vorüber, als die letzten Gäste frohgemut Abschied nahmen. Der Burgherr, ein rauher und strenger Gebieter, pflegte täglich vor dem Schlafengehen durch alle Räume seiner weiten Burg zu gehen, um nach der Ordnung zu sehen. So machte er es auch nach dem schönen Fest; eben trat er in die große Turmstube, prallte aber erschrocken zurück, denn am anderen Ende stand eine geisterhafte Frau in langem, weißem Kleid. Ein bleiches Licht umstrahlte ihre Gestalt; lautlos schwebte sie zur Tür, hob dort langsam die Arme, und jetzt erst bemerkte der Ritter, daß sie lange, schwarze Handschuhe trug. Wie gebannt starrte er die Erscheinung an, bis sie plötzlich verschwunden war.

„Die Weiße Frau", murmelte er entsetzt, „und schwarze Handschuhe — das bedeutet Unglück für mein Haus!" —

Und richtig, wenige Tage nach dem frohen Fest erkrankte die junge Burgfrau und starb in den Armen des trostlosen Gatten.

Quelle: Was die Heimat erzählt, Die Weststeiermark, Das Kainach-, Sulm- und Laßnitztal. Herausgegeben von Franz Brauner. Steirische Heimathefte. Graz 1953.
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