DIE BERGMÄNNLEIN VERLASSEN DAS SALZGEBIRGE

Früher besaßen die Bergknappen zu Hause nur selten Uhren, und so kam es öfters vor, daß sie zu spät zur Frühschicht antraten.

Um diesem Übelstand abzuhelfen, wurde zu Maria Theresias Zeiten angeordnet, daß auf dem Dürrnberg unmittelbar nach dem fünften Glockenschlag ein Weckgeläute einsetzen müsse. Nun hausten damals aber im Salzbergwerk viele kleine Zwerglein, die still und gar fleißig schafften, und nicht selten soll es geschehen sein, daß ein Hauer am Morgen seine Schicht bereits gefördert vorfand. Eines Tages erschreckte nun die emsig werkenden Zwerge zu früher Morgenstunde das mächtige Geläute der Kirchenglocken.

Ängstlich huschten sie in den Stollen auf und nieder und zeigten sich sehr traurig. Endlich vertraute sich ein Gnom dem ältesten Steiger an und ließ diesem wissen, daß der Glockenschall die hilfsbereiten Zwerge verscheuche. Er sprach: „Wir müssen jetzt scheiden; denn wenn wir auch Christus geneigt sind, so dürfen wir ihn doch nicht nach Christenart verehren.“ Damit verschwand er und mit ihm die Schar der übrigen Zwerge, und keiner von ihnen wurde jemals wieder erblickt. –

Eine andere Sage erzählt, daß im Jahre 1902 eine große Anzahl von Zwergen die Grenze beim Neuhäusl überschritten habe. Sie waren so klein, daß sie leicht unter dem Schlagbaum durchmarschieren konnten. Voran trugen sie ein Fähnlein mit einem sonderbaren Zeichen. Sie redeten mit den Leuten, aber man verstand sie nicht.

Um Mitternacht hielten sie in der Dürrnberger Kirche ein feierliches Hochamt. Die Leute waren so neugierig, daß sie an den Fenstern Leitern anlehnten und hineinschauten.

Im selben Augenblick aber wurde alles finster und still, und die Bergmännlein waren verschwunden.

Quelle: Josef Brettenthaler, Das große Salzburger Sagenbuch, Krispl 1994, S. 106