Das St. Johanneskirchlein am Kapuzinerberg

Im Jahre 1478 begab es sich in Salzburg, daß vor das Stadttor zwei arme Bettler in so dürftigen Lumpen kamen, daß der eine schier für nackend gelten konnte. Sie baten beide um Einlaß und sprachen: "Wir wollen uns allhier einen Herrn suchen, der uns zeitlebens speist, tränkt und verpflegt; dafür wollen wir von Gott dem Herrn der Stadt alles Heil der Welt erbitten." Dem Torwart dünkte solches Ansinnen seltsam und hieß die Bettler draußen verweilen, indem er zuvor ihr Anliegen dem Bürgermeister melden wolle.

Hierauf kam der Bürgermeister aus Neugier selbst an das Tor, sah die Armen und fragte sie: Wer und woher sie seien und welche ihre Hantierung? "Ich bin", sprach der Halbnackte, "ein Steinhauer und Wegmacher, und ein Nazaräer." - "Und ich", sagte der zweite, "bin ein Zeugmacher und aus Galiläa." - "Ach, liebe Männer, helfe euch Gott!" sprach der Bürgermeister; "Ihr sollt wissen, daß hier in der Stadt wir der armen Leute selbst genug haben, können euch daher nicht einlassen und aufnehmen."

Nun lag damals gerade ein vornehmer Bürger, namens Dänkhl, auf dem Siechbette, dessen Diener hörte zufällig das Gespräch des Bürgermeisters mit den Bettlern, über deren große Abgerissenheit er sich wunderte, und erzählte seinem kranken Herrn die seltsame Mär. Da gelobte sich dieser, ein Werk der Barmherzigkeit zu üben, sandte und erbot sich gegen den Bürgermeister, daß er für die beiden Armen sorgen wolle. Der Bürgermeister erlaubte es ihm, und man ließ die Bettler ein, welche nun zu Dänkhl kamen und ihm Dank für seine Milde sagten. Der Kranke sprach zu beiden: "Liebe Männer, ich habe zwar in meinem Hause keinen Raum für euch, aber oben auf dem nahen Berge gehört mir eine Gerechtigkeit, da hinauf will ich euch ein Häuslein bauen lassen, darin ihr hausen und wohnen könnet, und Trank und Speise soll euch nimmer mangeln."

Darauf neigten sich die halbnackten Bettler und sprachen: "Gibst du uns nur den Platz, so wollen wir uns schon selbst eine Hütte bauen. "

Und plötzlich umleuchtete es die Gestalten der Armen, wie eine Klarheit des Himmels. "Siehe, du Frommer und Guter!" sprach der fast Nackte, "ich bin Johannes der Täufer, ein Wegmacher, weil ich die Wege des Herrn bereite nach dem Worte der Schrift!" "Und ich bin", sprach der zweite Gottesbote, "Johannes der Evangelist, ein Zeugmacher, den der Herr berufen hat, als er an seinen Netzen strickte."

Und damit verschwanden die Gestalten der Himmlischen vor dem Blicke des guten Dänkhl. Dieser aber fiel betend auf sein Angesicht, fühlte sich alsobald gesund und erbaute hierauf das Kirchlein St. Johannes am Kapuzinerberge.

Quelle: K. Rolfuß, Klänge aus der Vorzeit. Fromme Sagen und Legenden, Mainz, 1874, zit. nach Leander Petzold, Sagen aus Salzburg, München 1993, S. 267.