Die zwei Hirtenknaben

Um jungen Vögeln nachzustellen, durchstreiften einst zwei Hirtenknaben die Waldungen des Untersberges. Da kamen sie von ungefähr an eine offene Türe. Neugierig traten sie durch dieselbe ein und sahen sich in einer großen, weiten Halle. Nicht Stuhl noch Tisch, nicht Kasten noch Bett waren in ihr zu finden, wohl aber zwei große Truhen, von denen die eine vollgefüllt mit eitlem Gold sich ihren Blicken zeigte. War das eine Freude! Rasch griffen sie hinein und füllten sich ihre Brotsäckchen mit dem edlen Metalle. Und je mehr sie nahmen, desto größer wurde ihre Begierde; da verdüsterte sich auf einmal die Halle, die Wände schienen zu wanken, ein beengendes und beängstigendes Gefühl beschlich der beiden Knaben Herzen, so daß sie eilends hinaus ins Freie flohen. Und dies wahrlich zur rechten Zeit; denn kaum hatten sie den Fuß ins Freie gesetzt, so fiel die Türe donnernd ins Schloß, und so rasch war das geschehen, daß dem einen der beiden Hirtenknaben der Schuhabsatz weggerissen wurde. Sich bekreuzend, flohen sie von dannen und dankten Gott, als sie glücklich daheim angelangt waren.

Quelle: R. von Freisauff, Salzburger Volkssagen, Bd. 1, Wien/Pest/Leipzig 1880, S. 78 f, zit. nach Leander Petzold, Sagen aus Salzburg, München 1993, S. 219