Vom Loretokirchlein und dem wundertätigen „Salzburger Kindl“

In der Paris-Lodron-Straße, inmitten der großen Stadt Salzburg, besteht seit 1633 das stille und bescheidene Klösterlein des strengen Ordens der Kapuzinerinnen von St. Maria Loreto. Sie waren damals im 30jährigen Krieg von Bayern nach Salzburg geflüchtet.

In der kleinen Kirche zu Loreto befindet sich ein Jesuskindlein, das eine kostbare Krone und mehrere mit Edelsteinen gezierte Kleidchen besitzt. Das kleine Kunstwerk hat eine bewegte und wundersame Vergangenheit:

Eine Gräfin von Öttingen hatte es einer Nonne zu Säckingen in Oberschwaben geschenkt. Diese kam später als Oberin nach Ensisheim in den Elsaß. Vor ihrer Abreise ließ sie sich von dem Kapuzinerpater Johannes Chrysostomus, einem geborenen Grafen Schenk zu Castel, überreden, ihm das Kindlein während ihrer Abwesenheit zu überlassen. Der nahm es in seine Obhut und wachte über das Kleinod. Eines Tages ereignete es sich, daß der Pater, als er vom Chor zurückkehrte, das Kind in vier Stücke zertrümmert, jedes Stück in eine andere Ecke verstreut, vorfand. Er weinte darüber bitterlich, sammelte die Bruchstücke zusammen und sprach, ehe er zum Mittagstisch ging, zu den Fragmenten: „Mein liebes Büblein, hättest sollen oder doch können, wenn du nur wolltest, besser für dich Sorge tragen. Ich habe niemand, der deine Gestalt ergänzen könnte, so hilf dir denn selbst, sofern es dir gefällt.“ Und siehe da, als er zurückkam, fand er das Kindlein unversehrt und ohne jede Narbe! Im Jahre 1625 kam der Pater, als er den heiligen Berg in Andechs in Bayern mit dem Kindlein im Arme bestieg, zu Fall. Dabei erlitt das Jesukind einen tiefen Riß, der vom Scheitel bis tief in den Leib ging. Der Pater suchte in Überlingen einen berühmten Bildhauer auf und bat ihn, das Kindlein wieder zurechtzumachen. Der erklärte das für unmöglich. Am folgenden Morgen hatte es aber ohne menschliches Zutun wieder seine frühere Gestalt erlangt, ohne daß auch nur mehr die Spur einer Verletzung wahrnehmbar war. Ein andermal säuberte der Pater das Kindlein vom Staub, wusch und sonnte es. Ein Windstoß warf es nieder und beschädigte es. Der Pater betete inbrünstig, und abermals ergänzte es sich von selbst wieder, bis auf ein paar kleine Ritzer auf der Stirne, die heute noch zu sehen sind.

Dreimal geriet es in fremde Hände, doch jedesmal kehrte es von selbst zu Pater Johannes Chrysostomus zurück. Nach mancherlei Wechselfällen kam das Kindlein endlich im Jahr 1650 nach Salzburg.

Dieses Jesukindlein wird noch heute hoch verehrt. Wer einen großen, schier unerfüllbaren Wunsch hat, der wandert nach St. Loreto und läßt sich die kleine Statue für etliche Augenblicke aufs Haupt setzen.

Manchem hat das Salzburger Kindlein schon seinen Herzenswunsch erfüllt, und viele Gläubige ziehen noch immer getröstet von dannen.

An einer anderen Stelle des Kirchleins ist der aus dem Kloster Einsiedeln in der Schweiz nachgebildete Eindruck der Hand Christi zu sehen. In den vergangenen Jahrzehnten zog auch diese Stätte viele Andächtige an. Man legte die Finger in die Vertiefungen, welche sich jeder Hand, ob groß oder klein, vollkommen anschließen. Doch wer nicht reinen Herzens ist, dem ist hievon abzuraten, denn der Marmor schließt sich alsdann so eng um die Finger, daß diese arg gequetscht werden.

Dazu ein europaweiter Legendenvergleich: In Rom, in der Kirche „bocca della veritá“, das Steinmaul, das einem Lügner die Hand abbeißen soll!

Quelle: Josef Brettenthaler, Das große Salzburger Sagenbuch, Krispl 1994, S. 25.