Doktor Johannes Faustus in Salzburg

Der berühmte Magier Doktor Faust weilte einmal in der Salzachstadt und vollbrachte hier seine Zaubereien. Über diese Begebenheit wird folgendes berichtet: In der Fastnachtszeit des Jahres 1427 zechte einst Doktor Faust in seiner Vaterstadt mit etlichen Studenten bis tief in die Nacht hinein. Obwohl der Wein ausgezeichnet war, wandelte Faust die Lust an, aus Kurzweil eine Fahrt zu machen, und zwar nach Salzburg, da ihm wohl bekannt war, daß in des dortigen Bischofs Keller ein gar köstlicher Tropfen eingelagert sei. (Im Gebiete der Stadt Salzburg wurde übrigens im frühen Mittelalter Weinbau betrieben. Die Weingärten haben sich hauptsächlich auf der Südwestseite des Mönchsberges, von der Riedenburg zum Nonnberg, hingezogen. Vergleiche auch die Bezeichnung „Weingartenweg“ in Gnigl, am Fuße des Heuberges.) Er teilte diese Idee seinen Zechgenossen mit, die sofort damit einverstanden waren. Faust führte sie in seinen Garten, nahm die Leiter, setzte auf jede Sprosse einen seiner Kumpane, als letzter nahm er selbst seinen Sitz ein. Plötzlich wurde dieses sonderbare Gefährt durch unsichtbare Kraft gehoben, und fort ging die Fahrt durch die kühle Nachtluft. Kurz nach Mitternacht kamen sie im bischöflichen Keller zu Salzburg an, schlugen hier Licht und fingen an, der Reihe nach alle Weine zu kosten. Ungefähr eine Stunde mochten sie so in kreuzfideler Stimmung gebechert und so manches Glas auf des Bischofs Wohl getrunken haben, als sich plötzlich die Tür des Kellers auftat und der Kellermeister hereintrat, der noch einen Schlaftrunk für sich und seine Gesellen holen wollte. Er war nicht wenig überrascht, hier unten eine so fröhliche Runde vorzufinden. Dann aber überkam ihn ein nicht gelinder Schrecken, weil er sich nicht zu erklären vermochte, wie die Gesellschaft durch die verschlossene Kellertür hereingekommen sein konnte. Er faßte sich aber bald und begann zu zetern: „Ihr Diebe, wartet, euch soll der verdiente Lohn nicht ausbleiben!“ Damit wandte er sich, um Leute herbeizuholen. Doktor Faust aber trat ihm rasch in den Weg. Ihn ärgerte das Geschrei des Kellermeisters nicht wenig, zumal er wahrnahm, daß seine Spießgesellen kleinmütig zu werden anfingen. Er ermahnte sie daher zu eiligem Aufbruch, forderte aber jeden auf, noch eine Flasche vom Besten mitzunehmen und die Leiter zu ergreifen. Er selbst packte den Kellermeister beim Schopf und fuhr mit ihm und seinen Freunden durchs Kellerloch flugs davon.

Mit Windeseile ging die Fahrt in die Höhe und dann über einen großen Wald hin. Dort erspähte Doktor Faust eine hohe Tanne. Auf diese setzte er den an allen Gliedern zitternden und vor Angst und Schrecken laut heulenden Kellermeister, der nichts anderes glaubte, als daß sein letztes Stündlein geschlagen habe. Die unheimlichen Gesellen waren im nächsten Augenblick verschwunden. Da saß er denn auf dem Gipfel der Tanne und wußte sich nicht zu raten und zu helfen. Weit und breit war niemand zu sehen und zu hören.

Vergeblich versuchte er vom Baum herabzuklettern, dazu war er aber zu behäbig; die Äste bogen sich unter seiner Last, sodaß er Gefahr lief, herabzustürzen. So blieb ihm denn nichts anderes übrig, als sich recht ruhig zu verhalten und den Anbruch des Morgens zu erwarten.

Vor Kälte halb erstarrt rief er dann so lange und so laut um Hilfe, bis ihn endlich zwei vorübergehende Bauern vernahmen, die nicht wenig erstaunt waren, einen Mann auf dem Wipfel der Tanne sitzen zu sehen. Er nannte seinen Namen und versprach ihnen für seine Rettung reichen Lohn. Das wirkte! Eilig liefen die beiden Bauern in die Stadt und meldeten dort, was sie gesehen; ja sie kamen sogar an den bischöflichen Hof, doch niemand wollte ihren Worten Glauben schenken. Als man aber nach eifrigem Suchen den Kellermeister nirgends zu finden vermochte, hielt man die Meldung der Landleute doch für richtig, und eine Menge Volk zog zu der bezeichneten Stelle. Hochverwundert sah man den Vermißten in seiner wenig beneidenswerten Lage auf dem Wipfel der höchsten Tanne zusammengekauert hocken. Nun machte man sich daran, ihn herabzuholen, was nach langen Bemühungen und nicht ohne Gefahr für das Leben des Kellermeisters schließlich auch gelang.

Dieser dankte aus tiefstem Herzensgrund und begann dann die Erlebnisse der letzten Nacht zu erzählen. Alle wollten die Namen der Weindiebe wissen, und man bestürmte ihn mit Fragen. Er konnte diesem Verlangen jedoch nicht entsprechen, denn er kannte keinen der Übeltäter und auch den nicht, der ihn zu der unfreiwilligen Luftfahrt gezwungen hatte. Später erst erfuhr man, daß dies Doktor Faustus gewesen war.

Für den Kellermeister aber hatte die Geschichte doch ein Gutes: Er verzichtete fürderhin auf den Schlaftrunk und wäre um keinen Preis mehr dazu zu bewegen gewesen, nach dem Aveläuten noch einmal in den Keller zu gehen.

Quelle: Josef Brettenthaler, Das große Salzburger Sagenbuch, Krispl 1994, S. 27 - 28.