Die Nachtsendin

Auf den Gasteiner Alpen traf einst in einer eisigkalten Winternacht - die Sennerinnen waren schon seit vielen Wochen heimgezogenein von der Jagd ermüdeter Jäger auf eine Alpenhütte, ging in dieselbe und legte sich mit seinem Hunde auf der "Hossen" ins Heu. Trotz aller Ermüdung und Schlafsucht fand er aber nicht die geringste Ruhe; denn immerzu vernahm er ein unheimliches Geräusch, bald ein Knistern, bald Kesselrühren, dann wieder, wie wenn Geschirr gereinigt würde, ganz so, wie die Sennerinnen zur Sommerszeit auf den Almen hantieren. Auf einmal aber rief es in hellem Tone:

"Du auf der Hossen,
Möcht'st nicht von meinem Rührmus kosten?"

Der Jäger erschrak über die Maßen und brachte nicht ein Wort über seine Lippen. Doch bald riefs wieder:

"Komm' runter, Jäger, von den Hossen,
Mußt auch von meinem Rührmus kosten!"

Da bellte der Hund laut auf, drunten krachten die Geräte alle zusammen, ein gellendes Lachen durchzitterte den Raum, dann heulte und wimmerte es wieder; darauf fiel die Hüttentüre ins Schloß, und eine kreischende Stimme rief:

"Hätt'st du den Brandl (Hund) nicht bei dir,
Zerrieb ich dich zu Laub und Staub!"

Das war die Gasteiner Nachtsendin, welche, in Sünden verstorben, im Tode keine Ruhe finden kann und nachts zur Winterszeit auf den Alpen erwacht und in der Hütte ihr Unwesen treibt.

Quelle: R. von Freisauff, Salzburger Volkssagen, Bd. 2, Wien/Pest/Leipzig 1880, S. 640 f, zit. nach Leander Petzold, Sagen aus Salzburg, München 1993, S. 241.