Die Sage von den Quellen.

Als noch ringsum dichter Urwald das Tal der Ache bedeckte, waren Primus und Felician an den Platz gekommen, wo die Quelle heilspendend dem Berge entsprang und hatten dort ihre Hütte gebaut, um in dieser Abgeschiedenheit dem Leben der Welt entrückt zu sein. Es war kurz nachdem der heilige Rupert seinen Bischofsitz in Salzburg aufgeschlagen hatte und das Land an der Salzach der Lehre des Heiles und einer neuaufblühenden deutschen Kultur erschloß. Noch wußte niemand im ganzen Lande von den heilsamen Quellen als die beiden frommen Einsiedler.

Da begab es sich, daß der Ritter von Goldegg auf der Jagd nach einem Edelhirschen bis ins Innere des Tales vordrang. Schon hatte er das Tier weidwund geschossen, doch dieses vermochte noch einmal zu fliehen und als der Jäger der schweißigen Fährte folgte, bemerkte er plötzlich aus einer Felsenspalte Dampf aufsteigen. Nahertretend sah er, wie eben die beiden Einsiedler den verwundeten Hirsch im warmen Wasser badeten und dessen Wunde wuschen.

Als die beiden Alten den Jäger erblickten, baten sie ihn, dem Hirsch sein Leben zu lassen, dafür boten sie ihm Worte der Lehre des Heiles und eröffneten ihm ihr Geheimnis von der Wunderkraft der Quelle. Seitdem der Goldegger diese Kunde hinausgetragen, war das Gasteiner Bad der leidenden Menschheit erschlossen.

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Aber der Teufel sah mit scheelen Augen, daß bald nach der Entdeckung die warmen Quellen gar manchem das Leben verlängerten und mancher Schmerz gestillt wurde. Um den alten Einsiedlern das Ansehen zu rauben, das sie als Entdecker der Quellen genossen, verfiel er auf den Gedanken, die Quellen abzuleiten und nach St. Johann zu führen. In einer sturmbewegten Nacht machte er sich ans Werk. Schon war er mit einer Quelle übers Gebirge bis Stegenwald gekommen, da klang in St. Johann die Frühglocke und rief die Frommgläubigen zur Morgenandacht. Da war seine Macht gebrochen, mit einem Fluche ließ er die Quelle fahren und verschwand im Morgennebel; eine Quelle in der Nähe der Großarler Klamm soll der Ausfluß sein, der sich seitdem dort öffnet, denn auch diesem Wasser soll eine gewisse Heilkraft zukommen.

Diese Sage wird auch noch in anderem Zusammenhange erzählt: Der Oberarler Schmied zu Plankenau wollte sich vom Teufel die Gasteiner Quellen zu seinem Hause leiten lassen, wofür er ihm seine einzige - allerdings schwachsinnige - Tochter überlassen sollte. Dagegen war aber Bedingung, daß die Arbeit in einer Nacht bis zum ersten Hahnenschrei vollendet sein müsse. Auch darauf ging der Teufel ein und machte sich an die Arbeit. Als aber der Schmied das Gepolter des Teufels in der Klamm hörte, überkam ihn eine fürchterliche Angst und er wollte den Handel rückgängig machen. In seiner Not wandte er sich an eine alte Here, die ob ihrer Verschlagenheit bekannt war, und die gab ihm den Rat, er solle einfach seinen Hahn in den Brunnentrog tauchen. Der Schmied tat darnach und als der Hahn das unfreiwillige und ihm ebenso unbequeme Bad spürte, krähte er ganz kräftig. Damit war die Arbeit des Teufels zu Ende, die Quelle verlief sich und die arme Seele war gerettet.

Nach anderer Überlieferung war es die Mutter der verkauften Tochter, die in der Angst des Mutterherzens auf das Mittel verfiel, den Hahn durch ein frisches Morgenbad vor der Zeit zum Krähen zu bringen. Sie soll dann mit dem Hahne in der Hand gewartet, bis der Teufel mit einer riesigen Quellenfassung in den Händen durch die Luft daherkam, und in dem Augenblick den Hahn in den Brunnen getaucht haben; daraufhin wäre der Teufel mit seiner Riesenlast zu Boden gefallen und in die Tiefe des Berges versunken.

Diese Auffassung vom betrogenen oder durch die Macht einer Glocke gebannten Teufel ist nicht auf das Gasteiner Tal beschränkt, für die Gastein ganz eigenartig ist es aber, daß in allen anderen Fällen, in denen wir später noch vom Teufel hören werden, dieser sein Recht behauptet, während in anderen Gegenden die Leichtsinnigen ihm viel leichter entkommen. Diesem Gottesgeschenk aber durfte der Böse nichts anhaben, das mußte dem Orte erhalten bleiben.

Quelle: Gasteiner Sagen, Dr. Karl O. Wagner, Bad Gastein, 1926, S. 9 - 12.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Monika Maier, März 2005.