Von heiligen und unheiligen Orten.

Dort, wo aus dem Tale der Salzach ein Bergweg die Höhe hinanführt, um dann, gegen Süden sich wendend, das Tal der Gasteiner Ache zu erreichen, steht auf der Dreiwallerhöhe zwischen Klammstein und dem Bärenkogel ein Kreuz, die Drei Waller genannt. Vor diesem Kreuze, das zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts errichtet wurde, stand hier eine Kapelle, in der ein Gemälde drei Pilger darstellte, wie sie die Höhen von Gastein erstiegen.

Der Weg über die Dreiwallerhöhe war in der ältesten Zeit, bevor noch eine Straße durch die Klamm führte, der eigentliche Zugang ins Hochtal und daher ein vielbegangener Weg, wo man dankbar dreier sagenhafter, frommer Männer gedachte, die um das Jahr 680 die Bewohner des umliegenden Pongaus auf den Goldreichtum der Gasteiner Beige hingeführt haben sollen.

Eine spätere Zeit fand aber noch eine andere, recht hübsche Sage von den drei Wallern. Sie berichtet:
Einst pilgerten drei Männer aus der Gastein ins heilige Land. Die Hinfahrt war glücklich überstanden, sie genossen die Seligkeit der Nähe der heiligen Stätten, aber mit dem Wunsche um ihr Seelenheil verband sich die Sehnsucht nach dem Wiedersehen ihrer geliebten Heimat. Schwer lasteten die Mühen der Rückfahrt auf den Männern. Verbrannt von der Wüstensonne, mit Füßen, wund vom Wüstensande und fast dem Verdürsten nahe, wären sie liegen geblieben, wenn nicht die Heimat die Kraft gegeben hätte, die Müdigkeit zu überwinden. Auf hoher See glaubten sie sich im Seesturme bereits verloren, doch schien Gott sich ihrer zu erbarmen und ließ sie landen und die Alpen erreichen. Da hüllen sie wieder die Schrecknisse der Gebirgswelt ein. Eine Lawine stürzt donnernd zu Tal und hüllt sie mit Schneewirbeln ein; noch einmal werden sie dem Leben geschenkt, auf daß ihr Herzenswunsch erfüllt werde. Aber aufs äußerste ermattet erreichen sie den Ort, der nach ihnen den Namen führt. Glückstrahlend blicken sie hinein ins liebe Tal, auf das Silberband der Ache und lauschen dem Rauschen der Wasserfälle. Aber beim Anblick des trauten Kirchleins inmitten der friedlichen Häuser ihrer Heimat, hinter der die Gletscher zum Himmel ragen, fielen sie einander in die Arme und sanken mit dankbarem Blicke, daß sie wenigstens den Anblick der Heimat erleben durften, tot zu Boden. Ihrem Andenken ist der Platz geweiht.

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Wie gefährlich in alter Zeit der Weg durch die Klamm war, bezeugt nicht nur die Überlieferung, daß Propst Pabo von Reichenhall, als er im Jahre 1212 in die Gastein wollte, um rückständige Abgaben einzutreiben, mit dem scheugewordenen Pferde vom vereisten, schmalen Reitwege in den Abgrund der Ache gestürzt ist, wobei auch sein Diener mitgerissen wurde, sondern eine ganze Reihe von Sagen, die sich an diese Gegend knüpfen.

So kam eines Abends spät ein Wanderer, müde vom langen Wege, in die Gegend der Ruinen des Schlosses Klammstein. Wie sehnte er sich nach einer Herberge, als plötzlich aus dem Dunkel des Waldes ein heller Lichtschein ihm entgegenleuchtet. Froh eilt er zu der Stelle, findet richtig ein nettes, sauberes Häuschen. Aber sein Klopfen bleibt ungehört, er klopft ein zweitesmal, wieder ohne daß jemand gehört hätte. Da schlägt er das drittemal kräftig auf die Türe und ruft voll Ungeduld: "Bei allen Heiligen! Macht mir doch auf!" - Da schlug eben auch die Uhr in Dorfgastein die Geisterstunde und im selben Augenblick waren Licht und Häuschen verschwunden, ein riesiger Felsblock stürzte zu Tal und begrub den müden Wanderer. Noch lange Zeit war dieser Ort gemieden und vom Volke "die letzte Herberge" genannt.

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In der Klamm gibt es aber auch das "verblendte Wirtshaus", ein Quartier ganz besonders böser Geister, das daher von den Leuten sorglich gemieden wird. Nachts beginnt darin ein unheimliches Treiben. Die Räume erhellen sich und wer sich nähert, hört ein Gewirr von Stimmen, als ob eine Menge wüster Gäste beisammen wären. Man erkennt auch deutlich das Auffallen von Gold- und Silbermünzen. Will man aber beim Fenster hineinschauen, findet man alles leer. Besonders Berufene sollen riesige Haufen Geldes auf den Tischen liegen gesehen haben. Diese zu bekommen, war aber noch keinem beschieden.

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Auch in den Ruinen der Burg Klammstein ist es nicht geheuer. Zwar stehen die Bewohner der Burg im allgemeinen in gutem Andenken im Volke. Aber einer unter ihnen ward doch ob seiner Grausamkeit dazu verdammt, allnächtlich zur Geisterstunde sein Grab zu verlassen und als Geist so lange zu wandeln, bis der letzte Rest einer Burgmauer in Sand zerfallen sein wird. Dann erst wird auch er Ruhe im Grabe finden.

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Es gibt aber auch von frommen Leuten um den Klammpaß zu erzählen. Ein Paar, das in Friede und einträchtigem Fleiß zu hohen Jahren gekommen war, bewohnte ein kleines Häuschen im Passe. Stürmisch war die Winternacht, in der die beiden Alten nach frommem Abendgebete ihr Lager aufsuchten. Da plötzlich erwachten sie durch ein schreckliches Getöse und als die Alte mit zitternden Füßen durch die dunkle Stube sich zur Tür getastet und geöffnet hatte, blickte sie mit Entsetzen und Staunen hinaus in eine mondhelle, zauberhafte Wintermitternacht. "Jesus, Maria," schrie sie, "Alter, schau, wie ringsum die Trümmer der Lawine herumliegen!" Über das bebende Häuschen war die Lawine hinweggegangen, hatte das Dach mit sich genommen und in die Tiefe gerissen, die frommen Alten hatte sie verschont. Bald war ein neues Haus erbaut, das heute noch von versicherter Wand auf den Wanderer herabschaut.

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Eine Höhle in dieser Gegend heißt die "enterische Kirche" seit ältester Zeit. Darinnen war ein kleiner Altar errichtet, zu dem mancher in schwerer Sorge wallfahrte. Einst ging auch ein Bauer an diesen geheimnisvollen Ort und kniete am Altäre in frommem Gebete nieder. Da kam aus einer Seitenhöhle ein Mönch auf ihn zu und fragte ihn um sein Leid. Angsterfüllt, mit tränenfeuchten Augen erzählte er sein Schicksal: Der Hagel hatte ihm die mühevoll gebaute Saat zerschlagen, das Vieh war ein Opfer der Seuche geworden, sein Weib ringe mit dem Tode und die Gläubiger drohten mit der Pfändung und Versteigerung des Gutes.

Da reichte der Mönch dem Bauern seine Hand und sagte: "Dein Gottvertrauen sei belohnt; geh heim und lebe zufrieden weiter, dein Vieh wird sich vermehren, dein Weib gesund werden, mit diesem Gelde wird dir dein Haus erhalten werden."

Wie der Mönch versprochen, geschah es auch; bald füllte das Vieh die Ställe, der Acker gab reichen Segen und inmitten junger Obstbäume erstand ein neues Bauernhaus.

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Eine weitere fromme Sage knüpft sich an die Himmelwand im Kötschachtal. Ein Jäger hatte eine weiße Gemse hinauf bis ins Gewände verfolgt, war immer weiter geklettert, bis er endlich an einem Felsrande stand, von wo es kein Vorwärts und kein Zurück mehr gab. Wie gebannt steht er dort oben und sucht Rettung durch Leute aus dem Tale. Da nimmt er seine Büchse, um durch den Knall des Schusses die Hirten um Hilfe zu rufen. Aber auch die sehen keine Rettung und können nur den Pfarrer holen, daß der ihm aus der Ferne den Segen spende. Begleitet von Andächtigen erscheint dieser am Fuße des unbesteigbaren Felsens und hebt segnend den Kelch mit dem Allerheiligsten empor. Da schwebt durch ein Wunder gehoben die Hostie in die Höhe zum Unglücklichen und als dieser in Ehrfurcht sein Knie beugt, versagt ihm die letzte Kraft und zerschellt stürzt er vom Felsen ins Tal hinab.

Seitdem heißt diese Wand die Himmelwand und ein vielfaches Echo gibt der Fels dem Rufenden zurück.

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Die Erinnerung an eine glückliche Rettung aus Lebensgefahr ist in der Legende von der Annenkapelle bei Hofgastein festgehalten. Ein frommer Hirtenknabe hatte sich in der Sorge um seine Schutzbefohlenen an einer Bergwand zu weit vorgewagt und war von grausiger Höhe abgestürzt. "Heilige Mutter Anna, erbarme dich!" hatte er noch gerufen und wirklich fing ihn im Falle St. Anna auf und trug ihn in ihrer Schürze sanft hinab auf die Wiese. Fromme Leute erbauten zum Gedächtnis an dieser Stelle die Annenkapelle, die heute noch ein gern besuchter Wallfahrtsort ist.

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Dagegen knüpft sich an die "Schreck" in nächster Nähe der Heilquellen eine schauerliche Erzählung. Zwei Nachbarn hatten sich einst das Versprechen gegeben, daß der von ihnen, der zuerst sterben sollte, dem anderen Nachricht geben werde, wie es ihm im Jenseits ergehe. Kaum sieben Monate waren vergangen, als schon den einen die kühle Erde deckte, der andere voll Sorge wartete, was denn sein Nachbar ihm für Nachricht bringen werde.

Es war Zeit des Almauftriebes und der Bauer trieb zeitlich früh seine Kühe gegen das Naßfeld. Da kam ihm vom Felsgebirge herab ein Reiter entgegen, in dem er mit Entsetzen seinen Freund erkannte. Unter Angst und Schrecken vernahm er nun die Schilderung der Qualen der Hölle, der jener entstiegen war, um dem Lebenden zu berichten. Und als er geendet, da sträubten sich dem Rappen die Haare, die Erde bebte und unter dem Zucken der Blitze und Heulen des Sturmes öffnete sich krachend ein Schlund, in dem mit fürchterlichem Aufschrei der Reiter mit seinem Rosse zur Hölle zurückfuhr.

Wahnsinn umfing den Freund, verstört und siech wankte er noch einige Zeit durchs Leben, bis auch er vor seiner Zeit ins Grab sank.

Seither heißt der Abgrund hinter dem Wildbade im Volksmunde die Schreck.

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Die Leidalm trägt auch ihren Namen von einem schauerlichen Ereignis. Auf dieser Alm wuchs vorzeiten das Gras so fett und hoch wie selten sonstwo. Aber es war unmöglich, das Vieh dorthin aufzutreiben, denn fast unter jedem Steine und hinter jedem Strauche lauerten giftige Schlangen. Da wandten sich die Leute an ihren Pfarrer, damit er helfe. Der war auch dazu bereit, doch wollte er versichert sein, daß keine weiße unter den Schlangen sei. Da nun alle beteuerten, eine solche nie gesehen zu haben, machte jener sich ans Werk. Ein großer Holzstoß ward in Brand gesetzt und auf die Beschwörung des Pfarrers krochen ungezählte Schlangen aller Art aus ihren Schlupfwinkeln heraus, geradenwegs hinein in das Feuer und fanden in den Flammen den Tod. Da kam plötzlich mit grausigem Gezisch auch eine weiße Schlange aus ihrem Verstecke hervor, ein Ungeheuer von Gestalt, stürzte auf den entsetzten Geistlichen los, biß und würgte ihn bis auf den Tod.
Diese Sage verdient vielleicht ganz besondere Beachtung, weil sie sicherlich an eine große Schlangenplage im Gebirge anknüpft; denn auch im Rauriser Tale geht eine ganz ähnliche Sage und auf dem dortigen Friedhofe steht ein Grabstein, auf dem zwei Schlangen zu erkennen sind, die sich um einen Kopf winden. Dieses interessante Relief trägt die Jahreszahl 1519 und ist möglicherweise nur eine symbolische Darstellung des Todes überhaupt. Das Volk läßt es sich aber nicht nehmen, daß diese Darstellung in Beziehung zur Geschichte vom Schlangenbändiger zu bringen sei, den in der Gegend von Bucheben ebenfalls eine weiße Schlange ums Leben gebracht hat.

Quelle: Gasteiner Sagen, Dr. Karl O. Wagner, Bad Gastein, 1926, S. 17 - 26.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Monika Maier, März 2005.