Der See am Bockkar

Am Fuße des Bockkar in der Gastein liegt ein kleiner See, der in seinen Tiefen die kostbarsten Schätze birgt. In alten Zeiten kamen auch alljährlich Taucher aus Italien und holten sich aus dem See Gold und Silber die Menge, das sie dann mit in ihre Heimat nahmen.

Jene Stelle nun, welche gegenwärtig der See einnimmt, war ehedem ein ungemein fruchtbarer und reicher Landstrich gewesen; aus jeder Felsspalte fast trat Gold und Silber zutage. Allein allzu viel Glück macht übermütig; so ging es auch hier. Das Volk und insbesonders die Bergknappen wußten sich bald vor Hochmut nicht mehr zu helfen; sie warfen mit silbernen Platten nach dem Ziele und tranken die Weine nurmehr aus goldenen Geschirren. Dabei waren sie hart gegen Arme und Unterdrückte und lästerten Gott und die Religion. Endlich ereilte sie aber die längst verdiente Züchtigung, und das Strafgericht Gottes kam über sie auf fürchterliche Weise. Unabsehbare Eismassen überdeckten auf einmal die erzreichen Berge, deren grüner Schmuck unter ihnen bald verschwand. Bis ins Tal herab erstreckten sich die Eisflächen und zerflossen hier unter den sengenden Strahlen der Sonne. Ungeheure Wassermengen begannen sich zu sammeln, welche stürmend und tosend vergeblich nach einem Abfluß suchten. Immer höher und höher stiegen die Wasser und verschlangen mit den großen Schätzen alles, was Leben hatte. So entstand der See am Bockkar. Bei heiterem, stillem Wetter und wenn das Wasser des Sees vollkommen klar und ruhig ist, sieht man noch heute in der Tiefe desselben gar wunderliche Gebilde, zahllosen Stämmen übereinander gestürzter Wälder ähnlich.

Quelle: R. von Freisauff, Salzburger Volkssagen, Bd.2, Wien/Pest/Leipzig 1880, S. 399f, zit. nach Leander Petzold, Sagen aus Salzburg, München 1993, S.149.