Der Wieserwaldgeist


Wo auf der Schattseite Neukirchen an die Gemeinde Wald i. Pzg. grenzt, liegt der Wieserwald. In dem steilen Gelände haben meist unscheinbare Bächlein im Laufe der Jahrhunderte tiefe Gräben gerissen, wenn sie durch Gewittergüsse zu Wildbächen geworden sind.

In der Nähe des Gutes Unterscheffau führen zwei Gräben in den Wieserwald hinauf, die heute noch der innere und der äußere "Geistergraben" genannt werden. Diese Gegend wurde ängstlich gemieden, nur selten wagte es jemand, sie zu betreten.

Aber einmal geschah es doch, dass ein armer, junger Bauernknecht in den inneren Geistergraben geriet. Langsam stieg er im unwegsamen Wald empor. Da sah er auf einer kleinen Lichtung etwas Sonderbares: An einem Gluthaufen saß ein kleines Männlein, das scheinbar seine Hände wärmte. Wortlos setzte sich der Bursche zu ihm. Nach einer Weile sagte der Zwerg: "Gib acht und komm nicht zu nahe! Greif ja nicht in die Glut, sonst verbrennst du dir die Finger!" Aber der junge Knecht hatte schon bemerkt, dass von dieser Glut keine Wärme ausging. Jetzt erst recht neugierig geworden, hielt er seine Hände über den gleißenden Haufen. Doch er konnte keine Hitze fühlen. Aufmerksam betrachtete er die seltsamen Kohlen.

Plötzlich bemerkte er, dass der Zwerg verschwunden war. Rasch füllte der arme Bursche seine Taschen mit der kalten Glut und eilte, so schnell er nur konnte, nach Hause. Dort drehte er die Säcke um und leerte sie aus: Pures Gold fiel heraus! Nun war aus dem armen Bauernknecht ein reicher Mann geworden. Für die Bettler, die bei ihm anklopften, hatte er immer eine offene Hand. Er hatte nicht vergessen, was es heißt, arm zu sein.

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Im Wieserwald soll auch ein Puchelmandel gehaust haben.

Dieses Männlein trug anstelle des Kopfes eine Puchel* und trieb seinen Spuk in den beiden Geistergräben. Es verfolgte die bösen Leute und bestrafte die Waldfrevler. Wenn es gar einem Menschen nachlief, so wusste man, dass der bald sterben musste.

Puchelmandel kommen in Sagen und Geschichten öfter vor. Nachts sichtbare Lichter, deren Herkunft man sich nicht erklären konnte (z.B. vom Phosphoreszieren modernder Bäume, Leuchtkäferchen usw.), wurden mit pucheltragenden Kobolden in Zusammenhang gebracht.

* Pucheln sind Pechfackeln, die einst die Bauern zur Beleuchtung der Wohnräume verwendeten.

Quelle: Helene Wallner, Sagensammlerin und -führerin, Emailzusendung vom 3. Mai 2005