DAS LOFERER LOCH
Auf einer Höhe, unweit Lofer, geht ein Gang in die Erde, welcher sehr lang sein soll. Wer sich hinein wagt, gelangt nach vielem Steigen über Kies und Stein zu einem kleinen See, welchen man den "Loferer See" nennt, und der stark mit Schilf durchwachsen ist. In der Mitte sitzt eine schöne weiße Jungfrau auf einem Felsen, in welchem ein kostbarer Schatz in einer Truhe bewahrt wird, welchen die weiße Gestalt hütet. Woher und warum alles so gekommen ist, erzählt die Volkssage auf folgende Weise:
Vor vielen Jahren stand auf diesem Platze eine königlich geschmückte Grafenburg. Der Graf war aber ein wilder, schlechter, stolzer Mann, ein Scheusal mit einem Worte. Er schwelgte und verbrauste Tausende wegen seiner Gelüste; wenn aber ein Armer kam, um nur die Brosamen zu erbitten, die vom Grafentische fielen, so wurde der Arme mit Hunden zum Schlosse hinaus- und durch den Garten gehetzt, worüber der Graf jedesmal herzlich lachen und sich weidlich ergötzen konnte. Abends vor einem heiligen Frauentag war beim Grafen bis tief in die Nacht hinein ein großartiges Fest-, eigentlich Saufgelage, und der Jäger des Grafen wollte sich auch gütlich tun und schlich mit einer Kerze in der Hand in den Keller hinab. Und wie er bei der Pulverkammer vorbeiging, die in der Nähe war, dachte er nicht daran und schneuzte das Licht mit den Fingern, warf den glühenden "Lichtputzn" (die glühende Schnappe) weg, und der Zugwind führte ihn gerade durch ein unverglastes Gitterfenster in deren Tür und auf ein offenes Pulverfäßchen. In diesem Augenblick erdröhnte ein entsetzliches Krachen, und das ganze Schloß flog in die Luft, alle Bewohner und Gäste wurden unter seinen Trümmern begraben, und der böse Graf fuhr in den Abgrund hinunter und soll zu einem Höllenhund verwunschen sein, um die vielen Schätze zu hüten, von denen er einen so üblen Gebrauch gemacht hatte. Wer aber die weiße Gestalt mit der Truhe sein soll, das hat noch kein Mensch erfahren können.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben
von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 11