DER SCHATZ IM KELLER

Zur alten Lüftenegger-Mirl in Gröbendorf kam einmal ein graubärtiges Männlein und sagte zu ihr, sie soll zur mitternächtigen Stunde in den Keller gehen, dort werde sie eine Kiste voll Geld finden. Davor aber werde sie einen schwarzen Hund treffen, der einen Schlüssel im Maul trägt. Diesen soll sie nehmen und die Kiste aufsperren, das Geld, das darinnen sei, gehöre dann ihr. Vor dem Hunde brauche sie nicht zu erschrecken, er tue ihr nichts. Sie könnte ruhig hinzugehen und ihm den Schlüssel aus dem Maul nehmen. Die Mirl, die sich das viele Geld nicht entgehen lassen wollte, versprach dem Männlein, das zu tun, was es ihr gesagt, und begab sich gleich in der darauffolgenden Nacht in den Keller, denn sie konnte es schier nimmer erwarten, daß sie zu dem Schatze komme. Drunten im Keller sah sie wohl die Kiste mit dem vielen Gelde und ihre Finger spreizten sich schon gleich den Krallen eines Geiers danach, aber sie sah auch den schwarzzottigen Hund mit den glühenden Augen, der in dem fletschenden Maul den Schlüssel hielt und vor der Kiste stand und sie bewachte. Beim Anblick dieses Untieres war es mit dem Mut der Mirl aus und es befiel sie eine solche Furcht, daß sie sich eiligst umwandte und entfloh. Als dies der Hund sah, begann er zu winseln und man hörte eine klagende Stimme, die rief: „O weh, nun sind wir wieder nicht erlöst und müssen warten noch viele Jahre. Erst das Kind, das in der Wiege heranwächst, die aus den Brettern des Fichtenbaumes gemacht ist, der vor dem Hause wächst, wird uns erlösen." Es war das graubärtige Männlein, welches dies sprach, indem es aus der dunklen Kellerecke hervortrat. Laut aufklagend verschwand es und ward nicht mehr gesehen.


Quelle: Michael Dengg, Lungauer Volkssagen, neu bearbeitet von Josef Brettenthaler, Salzburg 1957, S. 115