Die Totenmütze

Der Mesner von St. Margarethen sah zu wiederholtem Male, wenn er des Abends nach dem Betläuten aus der Kirche kam und durch den Friedhof ging, einen Mann mit einer Zipfelhaube auf dem Kopfe quer über einem Grabhügel sitzen. Als dies wieder einmal geschah, begab sich der Mesner nach dem Aveläuten zum Wirt hinüber auf ein Krügl Bier und erzählte dort den Gästen von der seltsamen Erscheinung. Die Gäste machten sich darüber lustig und ein Spaßvogel rief: „Wer von euch getraut sich in den Friedhof zu gehen und die Zipfelmütze zu holen? Wer dies wagt, der soll heute zechfrei sein!“ Die übrigen Gäste waren damit einverstanden, und es wurde noch ein Preis festgesetzt für denjenigen, der die Zipfelmütze hole und vor den Gästen auf den Tisch lege. Da versprach ein verwegener Bursch, das Wagnis zu unternehmen. Er stand auf, verließ die Wirtsstube und ging zum Friedhof. Doch als er in diesen eintrat und die Gestalt mit der Zipfelhaube wirklich auf dem Grabe sitzen sah, sank sein Mut sofort um ein Beträchtliches, so dass er am liebsten Reißaus genommen hätte. Doch die Furcht, von den anderen ausgelacht und als Feigling verspottet zu werden, trieb ihn vorwärts.

Als er der Erscheinung nahekam, sprang er hastig hinzu, riss ihr die Zipfelmütze vom Kopf, eilte damit in die Wirtsstube zurück und legte sie vor den erstaunten Gästen auf den Tisch. Man betrachtete die seltsame Kopfbedeckung anfangs mit einer gewissen Scheu, doch dann wurde sie der Gegenstand manchen Scherzes. So verbrachte man lustig zechend die Nacht. Als es gegen Morgen ging und die geheimnisvolle Mütze noch immer in der Wirtsstube auf dem Tische lag, bemächtigte sich aller eine gewisse Unruhe, denn jeder stellte sich insgeheim die Frage, was nun wohl mit der Mütze zu geschehen habe. Da . . . es ging gegen 4 Uhr, klopfte es plötzlich an die Tür. Bei diesem Geräusch fuhren die Gäste jäh zusammen und keiner getraute sich ein Wort zu sagen. Abseits saß ein einsamer Gast, der sich an der Zecherei und den Späßen der anderen nicht beteiligt hatte; dieser rief nun: „Herein!“ Da öffnete sich langsam die Tür und der Kopf eines Mannes schob sich durch die Spalte; seine Augen richteten sich nach dem Tisch, auf welchem die Zipfelmütze lag. Als er sie erblickte, öffnete er die Tür noch weiter und trat ein. Dann blieb er stehen, als erwarte er etwas. Die erschrockenen Gäste blickten nun alle nach dem Manne hin, der in seinem Totenkleide an der Türe stand. Aber keinem fiel es ein, ihm die Zipfelhaube zurückzugeben. Da trat der Gast, welcher bisher abseits gesessen, zu dem Tische, auf dem die Zipfelhaube lag, nahm sie und warf sie dem Wartenden zu. Dieser hob sie auf und sprach mit hohler Stimme: „Diesem Mann da habt ihr es zu verdanken, dass euch nichts Schlimmeres passiert; hätte er mir die Mütze nicht zurückgegeben, was zu tun eure Pflicht gewesen, so wäret ihr alle des Todes gewesen.“ Dann wandte er sich um und verschwand. Und es war auch höchste Zeit für ihn, ins Grab zurückzukehren, denn vom nahen Kirchturm läutete die Aveglocke. Es war soeben vier Uhr früh.

Quelle: Michael Dengg, Lungauer Volkssagen, neu bearbeitet von Josef Brettenthaler, Salzburg 1957, S. 138