Die Begegnung

Der alte Schlossbauer zu Moosham ging einmal spät abends nach Hause. Es war im Sommer zur Erntezeit, der Vollmond beschien die reifen Getreidefelder und leise wogten die goldenen Ähren im Abendwind. Da sah er in einem Feld unterhalb des Schlosses Moosham einen Mann im Felde stehen. Er hatte sich den Rock ausgezogen und war eifrig mit dem Aufhiefeln der Getreidegarben beschäftigt. Als der Schlossbauer näherkam, erkannte er im hellen Schein des Vollmondes den Reischlbauer aus dem Nachbardorf. Der Schlossbauer blieb nun stehen und rief dem ihm wohlbekannten Nachbar zu: „No, was machst denn du noch da? Willst's nit guat sein lassn für heut?“ Doch der Angeredete gab keine Antwort, sondern arbeitete, ohne sich im Geringsten stören zu lassen, ruhig weiter. Als der Schlossbauer daraufhin seinen Weg fortsetzte, überkam ihn plötzlich ein solcher Schrecken, dass er nicht mehr wusste, wie er nach Hause kam. Es war ihm nämlich eingefallen, dass der alte Reischl ja schon gestorben war und dies wohl sein Geist gewesen sein müsse. -

Auch Andrä Moser aus Fanning, genannt „der Gugl“, hatte einmal ein ähnliches Erlebnis und erzählte darüber folgendes : „Ich ging einmal zur Nachtzeit von Mariapfarr nach Örmoos. Da sah ich aus der Ferne ein Licht auftauchen, das sich mir näherte. Da es wahrscheinlich Leute waren, die gleich mir einen nächtlichen Gang unternahmen und ich mich ihnen nicht zeigen wollte, so stellte ich mich hinter ein Fichtenbäumchen. Als das Licht ganz nahe war, erkannte ich zwei Gestalten; die eine davon war ein großer starker Mann, die andere ein Knabe. Sie kamen von Örmoos her und schienen den Weg nach Mariapfarr zu verfolgen. Beide hatten ein unnatürliches, geisterhaftes Aussehen und waren mir vollständig unbekannt. Sie verursachten beim Gehen keinerlei Geräusch, sondern schienen nur so über den Boden dahin zu schweben. Sie hatten weder eine Laterne noch ein anderes Licht, wie ich anfangs meinte, sondern dieses schien von ihnen selbst auszugehen, indem ein eigentümlicher Schein sie umfloss. Plötzlich waren die beiden Gestalten verschwunden. Ich sah weder ein Licht noch die Gestalten mehr. Es war, als wenn sie sich in der Nachtluft aufgelöst hätten. Als ich nach Örmoos kam und die Leute dortselbst nach den beiden Wanderern befragte, wussten sie von nichts. Es sei weder jemand dagewesen noch fortgegangen. Auch die Bewohner des Ortes waren alle zuhause.“

Quelle: Michael Dengg, Lungauer Volkssagen, neu bearbeitet von Josef Brettenthaler, Salzburg 1957, S. 135