Die Andeut'
Es gibt Fälle, in denen Personen ihr bevorstehendes Ende oder auch den bereits eingetretenen Tod ihren Freunden oder Bekannten mitteilen, oder, wie man hierzulande sagt, „andeuten“. Entweder zeigt sich der Hinscheidende oder der Tote für kurze Zeit der betreffenden Person oder sein Geist gibt sich durch ein Klopfzeichen oder andere gespenstische Geräusche zu erkennen.
Ein alter Bauer erzählte darüber oftmals folgendes:
„Ich war noch ein junger Bursche, als ich in einer mondhellen Nacht plötzlich aus meinem tiefen Schlaf erwachte. Der Mond schien hell in meine Kammer, so dass man jeden Gegenstand darinnen deutlich erkennen konnte. Plötzlich hörte ich ein Geräusch, ein Drücken an der Türschnalle - und die Tür ging auf. Dies konnte ich deshalb ganz deutlich sehen, weil mir die offenstehende Tür das Fenster verdeckte, durch welches der Mond schien. Ich glaubte anfangs, dass es von den Eltern oder sonst von den Hausleuten jemand sei, welche die Kammertür geöffnet hätten, um mich zu wecken, was alle Morgen geschah, oder dass sie sonst etwas in der Kammer zu besorgen hätten. Aber als ich dies dachte, stand die Gestalt meines Schulkameraden und Freundes, eines benachbarten Bauernburschen, vor meinem Bett. Ich sah ihn ganz deutlich, aber nur für einen Augenblick, worauf die Gestalt wieder verschwand und die Kammertüre sich schloss. Ich konnte nun vor Aufregung nicht mehr schlafen und fragte in der Frühe beim Aufstehen sämtliche Hausbewohner, ob während der Nacht jemand in der Kammer gewesen sei, was sie alle verneinten. Da kam, es war noch zeitlich in der Früh, ein Mann aus der Nachbarschaft und erzählte, dass während der Nacht jener Bauernbursche, also mein Freund und Schulkamerad, gestorben sei. Nun wusste ich es mit Bestimmtheit, dass es keine Täuschung, sondern Wirklichkeit war, dass mein Freund bei mir gewesen und mir seinen Tod angezeigt hatte.“
Auch die alte Hiasbäuerin in Begöriach wußte von einer ähnlichen Begebenheit zu erzählen:
„Es war am Abend und sämtliche Hausbewohner saßen in der Stube beim Nachtmahl. Da entstand im Vorhaus auf einmal ein gewaltiger Spektakel; es war ein Getümmel, ähnlich dem Zusammenbrechen eines von der Axt des Fleischhauers getroffenen Tieres. Wir eilten nun hinaus, um zu sehen, was es gebe. Als wir draußen waren, war nicht das mindeste zu sehen oder zu hören, und wir wussten uns die Ursache dieses lauten Geräusches nicht zu erklären. Nicht lange aber dauerte es, so kam die Nachricht, dass unser Nachbar, der alte Waldlbauer, gestorben sei. Nun wussten wir alle, dass er es war, der dieses unheimliche Geräusch verursacht, denn er hatte bei uns immer die Schlachtungen vorgenommen und er hatte uns nun durch dieses Geräusch, das dem Zusammenbrechen eines Rindes glich, seinen Tod angedeutet.“
Quelle: Michael Dengg, Lungauer Volkssagen, neu bearbeitet von Josef Brettenthaler, Salzburg 1957, S. 136