DER TOTENZUG

Im Herbste des Jahres 1860 sahen nächtlicherweile Bauern in der Gern die Untersberger in langem Zuge an ihren Häusern vorbeiziehen, dem Markte Berchtesgaden zu, und hörten sie beten. Es waren unter ihnen eine Menge bekannter Verstorbener, die den Zug mitmachten, auch der Schuster von Tanzbösel, der vor einigen Jahren auf dem Untersberge verunglückte.


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Josef Klapf war als Steinbrecher am Untersberge beschäftigt. Nach einem mühevoll verbrachten Tage ging er einst in einer mondhellen Sommernacht von Glanegg nach Hause. Als er zum Berge bei der Kugelmühle kam, gingen eine Menge kleiner Leute die Straße hinauf. Er kam an einigen derselben ganz nahe vorbei und sah auch mehrere Bekannte unter ihnen, die, wie er wußte, schon lange gestorben waren. Einer dieser letzten trieb die Neugierde ihn zu fragen, wohin sie denn gingen. Der aber gab ihm eine so derbe Ohrfeige, daß er besinnungslos zu Boden stürzte. Als er aus seiner Betäubung erwachte, waren die Leute verschwunden. Der Steinbrecher ging von Angst und Schreck erfüllt nach Hause und starb bald darauf eines raschen Todes.


Quelle 1: Huber, Nikolaus, Sagen vom Untersberg, Salzburg 1901, Nr. 34
Quelle 2: Freisauff, R. von, Salzburger Volkssagen, 2 Bde., Wien/Pest/Leipzig 1880, Bd. I, S. 74