DER FUHRMANN UND DIE BERGMÄNNLEIN IM UNTERSBERGE

Einstmals im Jahr 1694 wollte ein Fuhrmann mit einem Wagen, der mit Wein befrachtet war, aus Tirol nach Hallein fahren, und kam neben Sankt Leonhard bei der Almbrücke zu Niederalm, einem Dorfe zunächst des Wunderberges. Dort ging ein Bergmännlein aus dem Berge hervor und fragte den Fuhrmann: "Woher kommst du und was fährst du?" Der Fuhrmann sagte: "Wein." Da sprach das Männlein: "Fahre mit mir! Ich gebe dir gute Münz dafür, und mehr, als du zu Hallein bekommen wirst." Der Fuhrmann weigerte sich, weil der Wein bestellt sei. Darüber ward das Bergmännlein erzürnt, fiel auf die Mähnen der Pferde und rief: "Fuhrmann, weil du nicht mitfahren willst, will ich dich so führen, daß du gar nicht wissen sollst, wo du bist, und sollst dich nicht mehr auskennen!"

Dem Fuhrmann wurde mächtig bange, er sah, daß er in der Gewalt des Unterirdischen war, und gehorchte nun dem Bergmännlein, das mit eigener Hand den Zaum der Pferde ergriff und das Geschirr immer näher zu dem Untersberge hinlenkte. Dem Fuhrmann schien es, als gehe es auf einer kunstgerecht gemachten, ganz unfahrbaren Straße fort; er setzte sich mit auf den Wagen, und es überfiel ihn ein Schlaf.

Wieder erwachend sah er sich nahe an einem herrlichen Schlosse, erbauet aus rot und weißem Marmor, wie man ihn am Untersberge bricht, mit hohem Turm und kristallenen Fenstern, dreißig Klafter hohen und zehn Klafter dicken Mauern und einem tiefen Graben umgeben, zu welchem Schloß man nur, da es auf einem hohen, glatten, isolierten Felsen stand, über sieben Zugbrücken gelangen konnte. Bald auch wurden Bewohner des Schlosses ersichtlich, lauter kleine Bergmännlein, die sich sehr freudig erzeigten, unter ihnen der Kellermeister, mit vielen Schlüsseln und großen Taschen versehen, dem sein Bart bis über den Bauch und das Haar bis über des Leibes Mitte herabhing.

"Willkommen, mein lieber Fuhrmann!" sprach der Kellermeister zu diesem, der vor Furcht und Bangigkeit an allen Gliedern zitterte. In des Hofes Mitte spannten etliche eilends die Pferde aus und führten sie in den Stall zum Füttern, andere brachten den Fuhrmann in ein lichtes Gemach, wo sie ihm Speise und Trank vollauf vorsetzten, und alles in feinen und blanken zinnernen Geschirren. Doch konnte der Fuhrmann nicht heiter und sorglos sein, denn er wußte nicht, wohin sich alles wenden und welchen Ausgang dies wundersame Abenteuer nehmen werde. Als er gegessen und getrunken hatte, geboten ihm die Männlein, ihnen zu folgen, und da er sich keinen Widerspruch zu erlauben wagte, so ging er mit ihnen. Eine Treppenstiege von fünfundzwanzig messingenen Staffeln führten sie ihn hinan und in einen hohen prachtvollen Saal mit zwanzig Schuh hohen und sieben Schuh breiten, doch unverglasten Fenstern und daraus in einem andern, noch schöner und herrlicher als der erste. Der Boden war von glänzendpoliertem Marmor, und die Wände waren von klarem Gold aufgerichtet; die Fenster waren reiner Kristall. Der Plafond war Goldgetäfel, und in der Mitte des Saales standen vier kolossale Riesen, achtzehn Schuh hoch, fein von Metall gegossen, die hatten an ihren Armen goldne Ketten, als ob sie Gefangene vorstellten. Oben an der Decke aber sah man das Bildwerk eines Bergmännleins mit einer goldnen Krone, das hielt in seinen Händen die Ketten von den Armen der Riesen.

Das Bergmännlein fragte: Fuhrmann! Verstehst du, was die vier Riesen samt dem Bergmännlein mit der Krone für die künftigen Zeiten bedeuten wollen?"

Der Fuhrmann antwortete: "Ich verstehe es nicht!" Und das Bergmännlein sprach weiter kein Wort.

Rings im Saale standen und hingen schöne, mit Gold, Elfenbein und Perlmutter geschmückte Rüstungen, Waffen und Geschosse von alter Art und mannigfach verziert, auch gold- und edelsteinverzierte Tische.

Dann ging es in einen dritten, noch prächtigern Saal, darin ein überaus schönes Bettgestelle stand, mit dem glänzendsten, feinsten Gold überzogen; oben an den vier Eckpfosten standen vier Knöpfe von einem dem Fuhrmann unbekannten Stoff, daran hingen güldne Ketten.

Aus diesem Saale wurde der Fuhrmann in ein düsteres, doch reinliches Gewölbe geführt, darin sich ein Loch befand, das einen halben Schuh weit war, dadurch geboten die Bergmännlein dem Fuhrmann ein wenig hinabzuschauen. Da sah er in seltsamer Dämmerung über fünfzig kleine Mädchen, teils nackt, teils bekleidet, doch ließen sie ihn nicht lange hinunterschauen, sondern zogen ihn zurück und führten ihn in einen wohlgebauten Keller, von dem das Ende nicht abzusehen, der jedoch ganz mit Weinfässern angefüllt war. Dann kamen sie in ein hohes Gewölbe, darin eine große runde Tafel stand. Dort zahlte ein Bergmännlein dem Fuhrmann für seinen zugeführten Wein hundertundachtzig Dutzend Dukaten, bedankte sich höflich und sprach: "Hebe dieses Geld wohl auf, und gib es nur aus zum Ankauf an dem Weins, du kannst damit zeitlebens Handel treiben, und dein Geschäft wird glückhaft sein."

Nach diesem wurden des Fuhrmanns Pferde wieder eingespannt, und weil eines davon blind war, so nahmen die Männlein einen Stein, der blau und rot schimmerte, und machten damit das blinde Pferd sehend, gaben auch dem Fuhrmann den Stein zum Andenken, damit er die blinden Pferde armer Bauersleute auch wieder sehend machen sollte.

Die Bergmännlein verloren sich in ihr Schloß, der Fuhrmann aber fuhr heraus, und nur drei andere, die er vorher nicht gesehen, begleiteten ihn. Diese trugen schwarze Kleider, grünsammetne Kaskets und rote Federn darauf. Sie sagten zum Fuhrmann: "Du hast wohlgetan, deinen Wein hierher zu führen und zu verkaufen."

Sie begleiteten den Fuhrmann, der voller Erstaunen und Verwunderung war, eine ziemliche Strecke Wegs und sagten ihm zuletzt: "Wenn man anfangen wird, weiße und rote Hütlein zu tragen, wird die Not allerorten ihren Anfang nehmen und der Segen Gottes sich wenden nach dem Leben der Menschen."

Der Fuhrmann fuhr ganz befangen von dannen, wußte nicht wie noch wo er herauskam, denn plötzlich fand er sich an dem Orte, da ihm zuvor das Bergmännlein begegnete.

Und hernachmals wurden ihm die hundertachtzig Dutzend Dukaten weder mehr noch weniger, und er behielt die geschauten Geheimnisse auf Befehl der Bergmännlein bei sich bis nahe an seinen Tod und führte einen nachdenkenden und gottesfürchtigen Lebenswandel.


Quelle: Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Österreich, Ludwig Bechstein, 1840