St. Wolfgang-Sage
Rund tausend Jahre ist es her, da lebte im benachbarten Bayern der heiligmäßige
Bischof Wolfgang, dem Kaiser Otto II. ab 972 das große Bistum Regensburg
verliehen hatte. - Zu dem Gebiet, über das sich Wolfgangs kirchliche
Amtsgewalt erstreckte, gehörten auch weite Ländereien in Österreich,
darunter der schöne Abersee im Salzkammergut. Als im Laufe der Zeit
Streitigkeiten zwischen geistlichen und weltlichen Mächten in der
bayrischen Heimat ausbrachen, wollte der fromme Bischof nichts damit zu
tun haben. Und um ja nicht in den Zank hineingezogen zu werden, flüchtete
er heimlich an den Abersee, wo er sich von 982 bis 987 als Einsiedler
unerkannt aufhielt. Vorerst nahm er seinen verborgenen Wohnsitz am Falkenstein,
diesem stolzen Felsennest hoch oben in den dunklen Wäldern!
Wenn man heutzutage den Wegen folgt, die der heilige Mann einst gegangen
ist, so gelangt man bald nach dem Beginn des Aufstieges zu einer kleinen,
unscheinbaren Kapelle, die wohl viele Wanderer gar nicht beachten. Liest
man jedoch die darin angebrachte Tafel, dann erfährt man: "Hier,
auf diesem Stein, hat St. Wolfgang gerastet!"
Und jetzt erst betrachtet man ehrfürchtig links neben der Kapelle
den verwitterten Steinblock mit der flachen Mulde, in der das angesammelte
Regenwasser den Waldvöglein einen willkommenen Trunk schenkt. Steigt
man weiter und immer weiter bergan, trifft man noch drei andere Kapellen,
in denen auf großen Holztafelbildern die ganze Lebensgeschichte
Bischof Wolfgangs bunt gemalt zu sehen ist.
Kurze Sprüche erklären, was die Bilder darstellen. - So zum
Beispiel: "St. Wolfgang zu vernichten, schüttelt der Teufel
die Felsenwände; doch betend verwehrt der Bischof den Sturz durch
seine Hände." Oder: "In Wassernot stoßt St. Wolfgang
an diese Felsenstelle - seither fließt heilend da die Wunderquelle!"
Sie sprudelt auch tatsächlich noch heute in einem düsteren Winkel
der dritten Kapelle aus dem Felsengrund. Das Volk glaubt fest an ihre
Kraft, besonders bei Augenkrankheiten.
Vom Eingang dieser letzten Kapelle aus blickt man über eine kleine,
sonnige Waldlichtung, die linker Hand durch die hochaufragende Falkensteinwand
begrenzt ist. Und in diese Wand hinein schmiegt sich das Kirchlein St.
Wolfgangs. In dem schmalen Kirchenraum führt eine grob zugehauene
Steintreppe zur Schlafstelle des Heiligen. Um sie ganz nahe zu besichtigen,
muß man aber zwischen zwei engen Felswänden durchschlüpfen
können! Und das kann nur der, der am gleichen Tag noch nicht die
kleinste Sünde gedacht, gesagt oder getan hat. Ja, einen solchen
Menschen, mag er noch so umfangreich sein, lassen die Felsen ungehindert
durch - und er kann sich dann selbst überzeugen, wie bitter arm der
mächtige Regensburger Bischof im kalten Gestein geschlafen hat!
So lebte also der heilige Mann in Stille und Einsamkeit lange am Falkenstein;
doch dachte er immer öfter daran, daß es gut wäre, unten
beim Seeufer eine größere Kirche zu gründen, die für
alle Bewohner der Gegend gehören würde. Wo aber sollte sie stehen?
Er beschloß, Gott selbst möge darüber entscheiden. Nach
einem andächtigen Gebet stellte er sich auf einen Felsenvorsprung,
schwang einige Male sein Beil und ließ es dann mit aller Kraft in
die Tiefe niedersausen. Er dachte bei sich: an dem Platz, wo es auffällt,
will ich die Kirche errichten - dorthin will Gott sie haben!
Lange, lange mußte er suchen, bis er endlich nahe am Uferrand des
Abersees auf felsigem Grund das Beil fand. Die Lage gefiel Bischof Wolfgang
wohl; aber der Kirchenbau würde gerade hier keine leichte Sache sein,
das war ihm klar.
Während er sich noch Gedanken machte, wie er am gescheitesten sein
Vorhaben beginnen sollte, kam schon der Teufel daher, um die Ratlosigkeit
des Gottesmannes für sich selbst auszunützen. Mit schmeichlerischem
Lächeln und untertänigen Worten trat er ihm vor die Augen und
bot ihm seine Hilfe bei dem schwierigen Kirchenbau an.
Wolfgang war wenig erfreut über das Erscheinen des Teufels; und weil
er seinem Willen zur Mitarbeit gar nicht recht traute, fragte er um die
Bedingungen, die er stellen werde. Da antwortete der böse Feind mit
einer höflichen Verbeugung: "Gar keine großen Bedingungen,
du Hochverehrter! Ich bitte dich nur um das erste Geschöpf, das die
fertige Kirche betreten wird - das soll mein sein! Ja?"
Der weise Bischof überdachte einen Augenblick diesen Wunsch; doch
dann nickte er zustimmend und erwiderte: "Gut! Ich bin mit deiner
Bitte einverstanden; sie soll dir erfüllt werden!"
Daraufhin stürzte sich der Teufel samt seinen Helfern, die er herbefahl,
mit Feuereifer in die Arbeit und schob Sandkarren, sprengte Felsen, legte
Quadersteine und baute Säulen und Gewölbe, daß es eine
Art hatte. Dazu gehorchten er und seine Höllenschar in allen Stücken
den Angaben und Plänen des Bischofs, der selbst ebenfalls fleißig
beim Kirchenbau tätig war. Endlich stand eines Tages das Gotteshaus
in Pracht und Herrlichkeit zu St. Wolfgangs Wohlgefallen vollendet da.
Das Portal war geöffnet und die Kirche erwartete den ersten Besucher.
Auch der Teufel lag schon auf der Lauer und schaute voll Begierde nach
dem Geschöpf aus, das ihm gehören sollte. Und siehe: Wer trabte
da im Morgenlicht aus dem nahen Dickicht herbei? Und wer setzte mit einem
weiten Sprung über die Schwelle und lief dann neugierig im Kircheninneren
herum? Ein junger Wolf war es!
Lächelnd zeigte der Bischof auf das Tier und rief dem Teufel zu:
"Schau nur - dort ist der erbetene Lohn!"
Da wurde der Böse von wilder Wut erfaßt. Er packte den Wolf,
zerriß ihn in Stücke und fuhr fluchend zurück in sein
Höllenreich. St. Wolfgang wohnte fortan in einer kleinen Felsenkammer
dicht neben seiner neuen Kirche. Und er gab guten Rat und wirkte viele
Wunder für die Menschen, die sich bald vertrauensvoll um die Kirche
her ansiedelten. Der Ruf von seinen Taten und seiner Frömmigkeit
verbreitete sich in ganz Österreich und drang über die Grenzen
bis nach Bayern. Als man in Regensburg endlich erfuhr, wo der verehrte
Bischof lebe und wirke, wurde sogleich eine Abordnung zu ihm gesandt,
die ihn inständig bat, doch wieder in sein verwaistes Bistum zu kommen.
Da gab er dem Dringen und Drängen der hohen Herren und dem Wunsche
des Volkes nach und kehrte in sein Bayernland zurück. Der Ort, der
rund um seine Kirchengründung entstand, heißt seitdem St. Wolfgang
- und der Abersee ist in unseren Tagen überall als Wolfgangsee bekannt!
Dies zur dauernden Erinnerung an einen großen, wundertätigen,
heiligen Mann!
Quelle: Sagenschatz aus dem Salzkammergut, Iolanthe Hasslwander, Steyr 1981