Wie Ischl zu seinem Wappen kam


Nahe dem Zusammenfluß der Traun und Ischl soll die heutige schöne, weitbekannte Stadt Ischl dereinst mit einer kleinen Fischersiedlung ihren Anfang genommen haben. Es wird erzählt, daß freundliche Häuser schon damals an der langgestreckten Dorfstraße und um den Kreuzplatz standen. Die Bewohner des Ortes verdienten sich als Fischer, Holzarbeiter, Traunschiffer oder beim Salzbergbau das tägliche Brot. Weite Eschenbestände umgaben die Wohnstätten: Linden und Eschen grünten auch um den Dorfbrunnen am Kreuzplatz, bei dem sich die Menschen, jung und alt, zu mancherlei Gelegenheiten tagsüber einfanden. Auch die durchziehenden Fuhrleute hielten gerne bei diesem Brunnen Rast und gaben Antwort auf hunderterlei Fragen nach dem Woher und Wohin und nach Neuigkeiten aus Stadt und Land. Mit breiter Behaglichkeit erzählten dann die Männer von ihren Fahrten und von Sitten und Bräuchen, die es anderswo gebe.
"Habt denn ihr da kein Wappen?" frug einmal einer etwas geringschätzig. Und als man ihn begierig anschaute, was er wohl meine, und den Fuhrmann zum Weiterreden aufforderte, berichtete er von Markt- und Stadtwappen, die er selbst schon gesehen habe, und wie mancher Ort durch eine merkwürdige Person oder Begebenheit zu einem schönen Wappen gekommen sei. Ja, was tun? Natürlich wäre nun auch den guten Ischlern ein schmuckes Wappen erwünscht gewesen! Aber es fand sich lange weder ein berühmter Ritter noch eine merkwürdige Begebenheit, die man für dauernde Zeiten in einem Wappenbild hätte festhalten können. Eines Tages saßen wieder einmal zur Feierabendstunde mehrere Männer plaudernd um den Brunnen beisammen, als sich unter den nahen Eschen plötzlich etwas bewegte. Die Sprecher verstummten und alle schauten nach den Bäumen hin. Und was sahen sie dort? Eine Gemse! Wirklich und wahrhaftig eine Gemse!
Ohne Scheu trat sie heran und naschte unbekümmert vor den Anwesenden das unterste Laubwerk vom niederhängenden Gezweig einer Esche. Die Männer schauten schweigend zu und wagten kaum zu atmen, um das Tier nur ja nicht zu erschrecken.
Das war ein Ereignis - so etwas gab's wohl kein zweitesmal, daß eine Gemse bis zum Ischler Brunnen am Kreuzplatz kam! Als sie fortgesprungen war, begannen alle mit frohem Eifer durcheinanderzureden; denn jetzt hatte man endlich die langersehnte "merkwürdige Begebenheit"!
Die ganz unerhörte Geschichte wurde sogleich nach Wien berichtet - und bald konnten die glücklichen Ischler in ihrem inzwischen zum Markt erhobenen Ort eine Wappenurkunde des Kaisers Maximilian I. in Empfang nehmen. Diese Originalurkunde, ausgestellt am 10. März 1514, liegt heutzutage sorgfältig aufbewahrt im oberösterreichischen Landesarchiv. In die Schriftsprache unserer Zeit übertragen, lautet ihr Inhalt so:

"Das Ischler Wappen ist ein gelber Schild, im
Grund desselben drei Schwarzberge, darauf
stehend ein Gamskalb mit aufgereckten Ohren
und gekrümmtem, natürlichem Gehörn, mit
dem einen Hinterfuß auf dem rückwärtigen,
mit dem anderen und den zwei Vorderfüßen
auf dem mittleren Berg stehend, zum Schritt
bereit; auf dem dritten und vordersten Berg
steht ein Eschenbaum mit seinem grünen Laubwerk."

Dieses Wahrzeichen führt Ischl bis zum heutigen Tag und bestimmt auch in alle Zukunft!
Nun weiß man, wie diese Stadt zum Gemsenwappen gekommen ist.

Quelle: Sagenschatz aus dem Salzkammergut, Iolanthe Hasslwander, Steyr 1981