Drei Geschichten vom Steinpaß
Zwischen dem machtvoll dastehenden Bergfürsten Grimming und dem Kammergebirge liegt seit alters eine tiefe Schlucht eingebettet; dieser enge Paß, der die Verbindung zwischen dem steirischen Ennstal und Mitterndorf ermöglicht, hieß "Durch den Stein"; jetzt aber nennt man ihn kurz "Steinpaß". In früheren Jahrhunderten gab es in seinen zerklüfteten Felsen genug verborgene Schlupfwinkel für räuberisches Volk und heimliche Wildschützen. In unseren Tagen jedoch ist das schmale Tal im Steinpaß von einem Stausee erfüllt, der ein Kraftwerk für Siedlungen im Ennstal speist. Die Straße, die das Seeufer umrandet, ist so schön angelegt, daß sie kein Besucher mehr vergißt. Doch geistern heute noch allerlei Geschichten um die einst so verrufene Wegstrecke.
DIE LEICHTFERTIGE VRONI
Es war einmal im Fasching, da gingen zwei Mädchen durch den Steinpaß
nach Mitterndorf zum Tanz. Sie hatten die frohe Unterhaltung bei dem Bauernball,
zu dem sie geladen waren, also noch vor sich und plauderten die ganze
Zeit von nichts anderem. Besonders die Jüngere von den beiden lachte
und scherzte ohne Aufhören und führte recht lockere Reden, die
sie nur ab und zu unterbrach, wenn sie ein leichtfertiges Lied vor sich
hinträllerte. Die ältere Freundin schüttelte wohl manchmal
bedenklich den Kopf über so viel Ausgelassenheit und Übermut,
mußte aber dann doch wieder lachen, weil der Vroni tausenderlei
Spaße einfielen. Als die zwei eben die Hälfte des Steinpasses
hinter sich hatten, blieb die Jüngere plötzlich stehen, stieß
einen hellen Jauchzer aus und rief dann: "Und i sag dir: wann der
Himmel a nur kniahoch zum Derglengen war, i bleiben do liaber auf der
Erden, weil's ja da herunten gar so viel schön und lustig is!"
Aber oweh: kaum war das lästerliche Wort gesprochen, stürzte
unversehens der Teufel aus einer dunklen Nische der nahen Steilwand, packte
die Vroni und schwang sich mit ihr empor auf eine vorspringende Felsenplatte,
wo er sich ein paarmal im Tanz mit ihr drehte. Dabei stampfte er so wild
auf, daß sein Fußtritt noch vor wenigen Jahrzehnten im Gestein
zu erkennen war. Während die Gefährtin schreiend und klagend
nach Mitterndorf rannte, um Helfer herbeizuholen, verschwand der Böse
mit seinem Opfer in den Lüften.
Man fand tags darauf nichts mehr von der Vroni als Reste ihres zerrissenen
Festgewandes.
DAS ABENTEUER DER ZENZI
Vor langen, langen Jahren durchwanderte einmal ein braves Mädchen,
die Winterauer-Zenzi, die eine kranke Tante besuchen wollte, mutterseelenallein
den damals noch recht gefürchteten und deshalb wenig begangenen Steinpaß.
Als sie eben die höchste Stelle der engen Schlucht, vom Volk "Hochbrucker"
genannt, erreicht hatte, sprangen aus dem nahen Strauchwerk zwei Räuber
hervor, die das Näherkommen Zenzis bereits eine Weile beobachteten.
Die schwere Tasche, die sie trug, mochte es schon wert sein, das junge
Ding zu überfallen!
Als das Mädchen die beiden Wegelagerer sah, erschrak es bis ins Herz
hinein und lief wie gehetzt davon - und die Räuber waren schreiend
hinter ihr her!
Es war nur ein Glück, daß der eine von ihnen über einen
Stein stolperte und hinfiel und der andere seinem Kameraden aufhelfen
mußte. Dadurch gewann die geängstigte Zenzi doch einen Vorsprung
und kam durch eine Wegbiegung den Raubgesellen aus den Augen. Und da entdeckte
das Mädchen dicht neben sich eine ganz schmale Felsspalte, in die
es sich nun mit aller Macht samt der Tasche hineinzwängte - und es
war höchste Zeit gewesen, denn schon kamen die Verfolger dahergestürmt!
Wie staunten die beiden, als weit und breit keine Spur von dem Mädchen
zu sehen war! Sie blieben stehen und der eine sagte: "Wo kann denn
die in dieser Schnelligkeit hinverschwunden sein? Das ist mir unbegreiflich!"
Hierauf erblickte der Ältere die Felsspalte und meinte: "Vielleicht
hat sie sich gar da drinnen versteckt!" "Das ist unmöglich!"
entgegnete der andere Räuber. "Siehst nicht das große
Spinnennetz vor dem Spalt? Das hätt' sie ja beim Hineindringen zerrissen!
Nein, nein, die wird eher in den Jungwald hinauf gerannt sein - und dort
oben, mein Lieber, ist sie uns sicher! Komm, verlieren wir keine Zeit!"
Zenzi hatte angstbebend in ihrer engen Felsenkammer diese Gespräche
mitangehört und ein Gebet nach dem anderen emporgeschickt. Jetzt
atmete sie auf und dankte Gott und der himmlischen Mutter für die
sichtliche Hilfe, die ihr zuteilgeworden war. Und sie gelobte, wenn sie
ohne Schaden Mitterndorf erreiche, hier im Steinpaß ein Marienbild
zu stiften. Noch wartete sie eine geraume Weile, bevor sie sich aus ihrem
Felsspalt hervorwagte. Einen gar innigen Dankesblick warf sie auf das
Spinnennetz vor dem Felseneingang - dann aber begab sie sich so rasch
als möglich nach Mitterndorf zu ihrer guten, alten Verwandten, von
der sie liebevoll in die Arme geschlossen wurde.
Zenzi hat ihr Gelöbnis nicht vergessen! Schon ein Jahr nach diesem
Abenteuer konnte jeder, der durch den Steinpaß kam, in der Nähe
des Felsversteckes ein schönes Marienbild bewundern und verehren.
Und später, als Zenzi schon längst gestorben war, ließen
Pfarrer Stöger und der Arzt Dr. Lobenstock das Muttergottesbildnis
würdig erneuern. Du kannst es heute noch nahe der Staumauer in der
Felswand vorfinden!
DIE SAGE VON HEILBRUNN
Es ist schon lange her, da verfolgte einmal ein Jägersmann einen
Rehbock, den er wohl mit einer Kugel verletzt, aber nicht zu Tode getroffen
hatte. Das schöne Tier tat ihm leid; er hoffte, es doch noch einholen
zu können, weil es ja nicht schnell genug zu laufen vermochte - und
dann wollte er ihm den Gnadenschuß geben!
Sie hatten beide den Steinpaß bereits hinter sich, als der Jäger
plötzlich im dichten Jungholz das Wild aus den Augen verlor. Trotz
aller Bemühungen konnte er den Rehbock nicht mehr auffinden und wollte
eben das Suchen einstellen, als er in den nahen Sträuchern eine Bewegung
bemerkte. Da drang er rasch durch das vielfältige Gezweige und erspähte
nun das Tier, das zu seinem größten Erstaunen in einem kleinen
Gewässer stand und seine Schußwunde wusch und vorsichtig beleckte.
Der Rehbock hatte aber das Kommen des Mannes gehört und versuchte
sogleich zu flüchten. Doch war er das nicht imstande - der Lauf schmerzte
wohl noch gar zu heftig!
So ließ das Tier mit ängstlichem Blick den Jäger an sich
heran; der redete ihm gut zu und hob das zitternde Wild aus dem Wasser.
Da merkte er, daß die aus dem Grund aufsprudelnde Quelle heiß
war!
Welch ein Fund! Ganz glücklich über seine unerwartete Entdeckung
trug er den Rehbock heim und pflegte ihn gesund; nebstbei aber erzählte
er allen und jedem von dem heißen Quell nahe beim Steinpaß-Ausgang.
Von da an pilgerten viele Menschen hin und fanden Linderung, ja oft Heilung
ihrer Leiden. Der Ruf von der Wirksamkeit des Wassers verbreitete sich
daraufhin schnell im weiten Umkreis; so erbaute man über dem Quell,
der ständig mit 26-28 Grad Wärme aus dem Boden steigt, ein Badehaus
und nannte die Anlage "Bad Heilbrunn".
Später ergaben eingehende Forschungen die Gewißheit, daß
diese heiße Quelle schon den Römern bekannt war und von ihnen
verwertet wurde.
Einen richtigen Aufschwung erlebte Bad Heilbrunn aber eigentlich erst
1962 unter Bürgermeister Siegfried Saf von Mitterndorf, der es ausbauen
ließ und für sein Bekanntwerden sorgte. - So hat Heilbrunn,
vor Zeiten neu entdeckt durch einen steirischen Jäger, wohl noch
eine ganz große Zukunft vor sich.
Quelle: Sagenschatz aus dem Salzkammergut, Iolanthe Hasslwander, Steyr 1981