Der Hoisen Hiasl und die Irrwurzen

Nicht weit von Goisern lag am Waldrand die Hütte vom Hoisen Hiasl. Dort lebte der bekannte Holzknecht schon manches liebe Jahr mit seiner guten Frau, der Traudl.
Es war einmal an einem schönen Sonntag, da sagte der Hiasl nach dem Mittagessen: "Du, heut geh ich um Erdbeeren, wie ich dir's eh schon lang versprochen hab!" "Ist mir recht!" erwiderte die Traudl und suchte gleich im Geschirrkasten nach einem größeren Heferl fürs Erdbeerbrocken. Bald darauf steht der Hiasl fix und fertig vor ihr mit Rucksack und Bergstock. "Weißt, es könnt mir doch a Nattern oder sonst was Schiaches unterkommen!" meint er und weist bedächtig auf den knorrigen Stock mit der festen Eisenspitze. Dann fragt er noch: "No, und gibst mir a bisserl a Jausen auch mit?" Daraufhin steckt ihm die gute Traudl ein Stück Selchfleisch, einen tüchtigen Scherz Brot und ein kleines Flascherl Enzian in das Rucksackl.
So! Und jetzt ein Busserl und ein herzliches: "Pfiat di - und auf d' Nacht bin ich eh wieder da!"
Und nun stapfte der Hoisen Hiasl in den nahen Wald hinauf. Er kennt gute Erdbeerplätze in der Umgebung ja schon von Kindheit auf und er wird nicht rasten, bis das Heferl plattlvoll ist; das nimmt er sich gleich zu Beginn seiner Wanderung vor!
Wie er so hinanstieg, freute sich der kreuzbrave Mann an dem schönen, sonnscheinigen Tag, am kühlen Waldesschatten, an zwei Hasen, die vorbeisprangen - kurz, an allem, was ihm unterkam, denn er war in bester Laune. Er freute sich auch auf die gute Jause, die er im Rucksack mittrug - die sollte ihm heute schmecken! Einen richtigen Appetit hätt' er eigentlich jetzt schon! Aber nein - - er kann sich beherrschen!
Unter solchen und ähnlichen Gedanken durchquerte er den Forst, gelangte anschließend in einen Jungwald und noch höher in einen Schlag, aus dem ihm schon die reifen, roten Erdbeeren entgegenlachten.
Da begann der Hiasl gleich eine nach der ändern in sein Heferl zu pflücken - und auf ja und nein war es "plattlvoll", wie er sich's vorgenommen hatte.
Befriedigt setzte er sich auf einen alten Baumstrunk und holte seine Jause hervor, die er mit größtem Behagen verspeiste und zwischendurch mit einem Schluck Enzian begoß. Dabei schaute er ab und zu in die Runde; aber es ließ sich kein zweiter Mensch blicken - er war mutterseelenallein, wie er meinte!
Die kleinen Kobolde aber, die ihn umgaben und eilig unter dem Wurzelgeflecht längst gefällter Bäume aus- und einschlüpften, die sah und kannte er nicht. Sie jedoch kannten den Holzknecht schon seit Jahren und waren ihm nicht sehr freundlich gesinnt. Denn er hielt nichts auf das unsichtbare Waldvolk und prahlte oft vor seinen Arbeitskameraden, er wolle es gut und gern mit hundert Wichtelmännchen und anderen Geisterwesen aufnehmen - könnte er nur endlich einmal eines davon zu Gesicht bekommen!
Für diese ständigen Prahlereien wollten sich die kleinen Waldleute heute rächen und dem Hiasl einen Streich spielen. Während er sich ahnungslos dem Genuß seiner Jause hingab, verständigten sie sich also mit leisem Geflüster rasch untereinander; und dann sprachen sie über alle im Moos verborgenen, nahegelegenen Wurzeln eine Zauberformel - und die wurden dadurch zu den gefürchteten Irrwurzeln, die schon gar manchem Menschen zum Verhängnis geworden sind.
Voll Schadenfreude lauerten nun die Kobolde, was weiter geschehen würde. Hiasl war endlich fertig mit seiner Mahlzeit, packte die Brotreste, die leere Enzianflasche und das Erdbeerheferl in den Rucksack, griff nach seinem Stock und wollte sich auf den Heimweg begeben.
Aber schau: schon bei den ersten Schritten trat er, ohne es zu wissen, auf eine Irrwurzel! Da wurde auf der Stelle der Zauberspruch an ihm wirksam. Er verlor die Herrschaft über seine Füße - und sie trugen ihn nicht, wie er gewollt, nach Hause zu der guten Traudl, sondern immer höher hinauf in Wald und Fels.
Wie ein Fremder irrte er dahin und wurde überdies noch durch merkwürdige Erlebnisse geängstigt. Denn die Bäume und Wurzelstöcke hatten Gesichter, die ihn gräßlich angrinsten; die Felsblöcke schauten drohend drein und Gräser und Blumen kicherten bei seinem Kommen ganz vernehmlich.
Erst als es stockfinster war, stolperten die Beine mit dem Hiasl talab bis zu seinem Häuschen. Aber er erkannte es nicht und ebensowenig seine Frau, die bitterlich weinend beim Lampenlicht vor dem Tisch saß. Er sagte nur bei diesem Anblick leise vor sich hin: "Da klopf ich lieber nicht an - das Weiberl muß eh schon Kummer genug haben, die mag ich nicht erschrecken auch noch!" Und er trabte wieder in den Wald und ließ die arme Traudl in der schweren Sorge um ihren Hiasl allein.
Nach einer unruhigen Nacht im Freien ging es ihm am zweiten Tag nicht anders. Die Füße liefen abermals, wohin sie nur wollten; doch wo er auch hinkam, alles war dem Holzknecht völlig unbekannt. Und Menschen, die er hätte befragen können, traf er nicht. Ihm war, als sei er ganz allein auf der Welt, und seine Trostlosigkeit wurde immer heftiger.
Erst am dritten Tag sah er hoch oben vom Bergwald herab in ein Tal, in dem ein größerer Ort lieblich eingebettet lag. Da hellten sich Hiasls Gedanken langsam auf - denn diese Kirche und die Häuser dort unten hatte er bestimmt schon früher einmal gesehen!
Er fand einen schmalen Steig, der in die Tiefe führte, und begegnete auch bald zwei Männern, die ihn fröhlich begrüßten. "Ja Hiasl, was machst denn du heut bei uns in Aussee?" rief der eine und klopfte ihm lachend auf die Schulter. "Aussee? Ja ist denn das da unten Aussee?" fragte der Holzknecht ganz entgeistert. Und als die beiden Bekannten über diese Rede staunten, erzählte er ihnen alles, was sich mit ihm seit Sonntagnachmittag begeben hatte.
"Ja, mein Lieber, da bist halt auf eine Irrwurzen gestiegen - mit dem schiachen Zauber treiben einen die Waldmandln drei Tag vollkommen irr umeinander!" sagte der Altere belehrend.
"So - die Waldmandln machen das?" meinte nachdenklich der Hoisen Hiasl und wurde ganz still. Und als er endlich todmüde zu seiner Traudl heimwärts wanderte, nahm er sich fest vor, die Prahlereien zu lassen und überhaupt nie mehr etwas Nachteiliges über Kobolde und Waldgeister zu sagen.

Quelle: Sagenschatz aus dem Salzkammergut, Iolanthe Hasslwander, Steyr 1981