Die schwarzen Reiter vom Gosausee

Heutzutage haben es die Menschen in unserem Vaterlande viel, viel besser als in vergangenen Zeiten. Sie können friedlich und in Eintracht nebeneinander leben, wenn sie das nur wirklich ernstlich wollen.
Es gehen keine schrecklichen Seuchen mehr um wie früher die Pest. Verbrennungen am Scheiterhaufen, Folter und Galgen gibt es schon längst nicht mehr. Die Leibeigenschaft hat sich aufgehört; und von wilden Bauernaufständen lesen wir nur noch in Büchern.
Auch die Religionsunruhen sind in der Vergangenheit versunken.
Aber zwischen 1712 bis 1715 kam es gerade im Herzen des Salzkammergutes zu schweren Zusammenstößen zwischen katholischen und evangelischen Christen; und bald war die eine Glaubensgemeinschaft, bald die andere im Vorteil, je nachdem, welcher geistliche oder weltliche Machthaber sie stützte. Manches große Unrecht geschah in jenen trüben Zeiten, wo oft Bruder gegen Bruder stand.
Als die Evangelischen - oder Protestanten, wie sie auch genannt wurden - das Übergewicht erlangten, wurden an den katholisch gebliebenen Mitmenschen viele Gewalttaten begangen, die sie nicht leicht vergessen konnten. Doch kamen in den Tagen der Gegenreformation die Katholiken wieder an die Macht und zahlten den Evangelischen heim, was sie vordem an ihnen begangen hatten.
Um Frieden zu stiften, sandte der Kaiser mehrere Kompanien Soldaten in das besonders unruhige Salzkammergut. Daraufhin begannen aber nicht wenige Protestanten aus diesem Gebiet auszuwandern, um jedem Strafgericht zu entgehen.
Es war einmal im strengsten Winter, daß wieder mehrere evangelische Familien aus Gosau und Umgebung sich zusammentaten, um ins Dachsteingebiet zu flüchten und später das steirische Ennstal zu erreichen. Denn schon viele ihrer Glaubensgenossen hatten in der Ramsau am Fuße der Dachsteinsüdwand eine neue Heimstatt gefunden.
Bei dem eisigen Winterwetter fühlten sie sich vor Verfolgung ziemlich sicher; und so zog denn die kleine Schar über den zugefrorenen Gosausee schweigend dahin in die freiwillige Verbannung.
Doch ihre Flucht wurde verraten und bald waren die "schwarzen Reiter", wie man die dunkelgekleideten Soldaten überall nannte, scharf hinter ihnen her.
Die Eisdecke war aber nicht so stark, um die Belastung durch die berittene Abteilung der Kaiserlichen, die auf ihren Rossen eiligst über den See galoppierten, auszuhalten. Das Eis knisterte und krachte unheimlich; Sprünge und Spalten taten sich auf und die Pferde brachen ein und rissen ihre Reiter trotz Wehgeschrei und verzweifeltem Todeskampf mit sich in die schaurige Tiefe.
Dort unten wurden sie nach dem Volksglauben in kurze schwarze Fische verwandelt, die sich heute noch im Gosausee vorfinden. Und gleiten sie an drückend heißen Sommertagen behende bis zum Wasserspiegel empor, dann sagen die Gosauer: "Siagst sie dort? Die schwarzen Reiter lassen sich a wieder amal anschaun!"
Denn diese alte Sage ist bis in unsere Tage unvergessen geblieben!

Quelle: Sagenschatz aus dem Salzkammergut, Iolanthe Hasslwander, Steyr 1981