DAS MÜHLMANDL VON LICHTENAU

Ein Spielmann aus Haslach an der Großen Mühl in Oberösterreich ging einmal nach St. Oswald. Unweit des Schlößchens Lichtenau begenete ihm ein seltsames Männlein. Es hatte ein braunes Gesicht, und seine Haare und sein Bart waren wie die grünen Pflanzen, die man am Grunde der Mühl findet.

"Wohin gehst du?" fragte es den Spielmann. "Nach St. Oswald", antwortete dieser, "dort ist eine Hochzeit, und da soll ich geigen." "Laß die Oswalder", sagte der Zwerg, "die werden auch ohne dich tanzen. Komm mit mir, ich habe heute meine Hochzeit, da sollst du mir aufspielen."

Das Mandl führte ihn zur Mühl und ging mit ihm in das Wasser. Sie kamen zu einem Tore, das sich von selber öffnete, und dann in einen Saal, der mit Zweigen und grünen Pflanzen aufgeputzt war. Viele Zwerge mit ihren Begleiterinnen am Arme schritten durch eine Tür herein, und der Tanz begann. Der Haslacher fiedelte den ganzen Tag, daß ihm seine Finger weh taten; endlich hatten die Zwerge genug und verließen den Saal. Der letzte aber kam auf ihn zu und sagte: "Begehre keinen Lohn und sage, du seiest mit dem zufrieden, was im Kehricht hinter dem Besen liegt."

Es dauerte nicht lange, so kam der Bräutigam wieder und fragte, was er denn für die Musik schuldig sei. "Ich bin mit dem zufrieden, was im Kehricht hinter dem Besen liegt", antwortete der Spielmann. "Gut gewählt", sagte lachend der Zwerg, "es sind nur drei Kreuzer. Nimm sie dir, bewahre sie aber gut auf, und sooft du Geld wünschest, schlage auf die Tasche, und du hast so viel, als du willst." Darauf führte das Mandl den Geiger aus dem Saale, und sogleich stand er wieder neben der Mühl auf der Wiese. Er wußte nicht gleich, ob er wache oder träume. Als er aber um sich sah, erblickte er das Schlößchen und weiter weg den Kirchturm von Haslach.

Er ging dem Orte zu, da kam ein Reiter auf einem prächtigen Schimmel vorüber. "Was kostet der Schimmel?" fragte der Haslacher. "Hundert Gulden", war die Antwort. Da schlug der Spielmann voll Erwartung auf die Tasche, in der die drei Kreuzer waren, und sogleich fühlte er, daß sie schwer war. Er holte die hundert Gulden heraus und kaufte den Schimmel.

Von nun an schlug der Spielmann fleißig auf seine Tasche und war bald ein reicher Mann. Er erwies den Haslachern viele Wohltaten und ließ auch rings um den Ort starke Mauern anlegen, die den Bewohnern gar oft, besonders in den Hussitenkriegen, gegen ihre Feinde sicheren Schutz boten.


Quelle: Götter- und Heldensagen, Genf 1996, Seite 597