RÖTELSTEIN


I.


In den Grotten des Rötelsteins gab es und gibt es vielleicht noch heute allerhand seltsames Getier, das Anlaß zu zahlreichen Sagen von Drachen gegeben hat, welche die Höhlen der Berge bewohnen sollten. Im vergangenen Jahrhundert hat ein Arzt aus Ebensee, Dr. Wattmann, bezeugt, daß er bei einem Bauern das Knochengerüst eines gewaltigen Tieres von fünf Fuß Länge und dick wie ein Kind von fünf Jahren (eine Rippe maß mehr als 18 cm) gesehen habe; es besaß einen starken Schwanz, glich so ziemlich einem Alligator, hatte einen Rachen, mit scharfen, spitzen Zähnen besetzt, und eine braunschwärzliche Haut mit weißen Flecken auf der Bauchseite und spärlichen langen Haaren. So berichtete wenigstens der Bauer, der das Tier selber am Rötelstein im Jahre 1781 gelegentlich einer Jagd getötet haben will.


II.


In den Felsen des Rötelsteins gibt es Goldadern, welche Italiener, die ins Land kamen, als erste auszubeuten wußten. Einer dieser Fremden vertraute seine Enkelin, die kleine Magdalena, den Guten Müttern von Karlach, ohne jemals wieder ein Lebenszeichen zu geben. Der Sohn des Müllers gewann seine Wahlschwester vom Herzen lieb, heiratete sie und lebte glücklich mit ihr. Eines Tages wurden in einer Höhle des Rötelsteins Knochen gefunden, welche ein kleines Kruzifix aus Metall als die des Großvaters kennzeichnete, der sich in den Höhlen verirrt hatte und dort verhungert war. Ein Felsen in Menschengestalt auf der Höhe des Rötelsteins, von dem aus das Mädchen einst die Gegend nach dem verschwundenen Großvater abzuspähen pflegte, trägt noch den Namen des Kindes, der mit der Zeit in "Hl. Magdalena" umgewandelt wurde.


Nach Auguste Marguillier, "A travers le Salzkammergut", 1896 in:
Hans Commenda, Zur Volkskunde des Salzkammergutes vor fünfzig Jahren, in: Volkskundliches aus Österreich und Südtirol, Hermann Wopfner zum 70. Geburtstag dargebracht, Hg von Anton Dörrer und Leopold Schmidt, Wien 1947.