DER ZWERGELSTEIN AM SCHNEEBERG

In die Stube eines einsamen Bauerngehöftes des Puchbergertales, wo in einer stürmischen Christnacht jung und alt beim Schein der Kienfackel dem Erzählen des Großvaters lauschte, trat ein kleines, ganz in Loden gekleidetes und mit Schnee bedecktes Männlein ein, um ein Nachtlager bittend. Es wurde ihm gerne gewährt. Morgens kramte das Männlein eine Weile in seinem Ränzel herum und legte dann beim Abschied dem jüngsten Kinde zwei Äpfel in die Wiege. Der Großvater sah den Fortgehenden, dessen spitzer Filzhut sich in eine goldene Krone verwandelte, immer größer und größer werden und zuletzt - wie im Nebel aufgelöst - am Schneeberg verschwinden. Es war der Zwergenkönig und die zwei Äpfel waren, wie sich zeigte, von purem Gold. Später wollte ein neugieriger Schäfer, den Schneeberg besteigend, die Wohnung der Zwerge, welche seither den Talbewohnern vielfach behilflich waren, auskundschaften. Unter Blitz und Donner warfen aber die Zwerge auf den am sogenannten "Hengst" stehenden Schäfer von der Spitze des Schneeberges jenen Felsblock herab, der davon den Namen der "Zwergelstein" hat. Zugleich waren die Zwerge für immer von dort verschwunden.


Quelle: Carl Calliano, Niederösterreichischer Sagenschatz, Wien 1924, Band I, S. 42