DER HÖHLTURM ZU WÖLLERSDORF

Am Eingang des romantischen Piestingtales, hoch ober der Ortschaft Wöllersdorf, stehen die Reste eines kleinen, runden Turmes, der den Eingang zu einer in dem zerklüfteten Felsgestein befindlichen großen Höhle deckt. Dieser kleine Turm heißt der Höhlturm und die große Höhle die Turmhöhle und von beiden erzählt man sich folgende hübsche Sage:

In der Höhle hauste einmal ein armer, fremder Ritter, der um des ewigen Gespöttes, stets nur Höhlenteufel genannt zu werden, sich vor derselben eine Burg zu erbauen entschloß. Da aber dieser Ritter weder raubte, noch mordete, so war er sehr arm und konnte sich daher nur mit Mühe einen winzigen Turm und einen Stall für seinen mageren Gaul erbauen. Hier lebte er nun mit seinen zwei Knappen in den zwei kleinen Stockwerken des Turmes und war recht glücklich, trotzdem man ihn nun erst recht einen Bettelritter hieß.

Als aber einst der Feind in das Tal drang, da waren die Bewohner desselben froh, daß sie der Bettelritter in seine geschmähte Höhle gastlich aufnahm und ihnen unter seinem Schütze das argbedrohte Leben rettete. Die Anstrengungen des wilden Feindes, die verschanzte Höhle zu stürmen, mißlang. Dank der Umsicht des Ritters und die dankbare Bevölkerung hatte nun nicht genug Worte und Gaben des Dankes für den armen Ritter.

Der Bettelritter war nun reich und baute sich nun in diesem Tale eine feste Burg, die in späteren Zeiten ebenso gastlich der Bevölkerung sicheren Schutz vor den feindlichen Überfällen bot, als die frühere Felsenhöhle und der ehemalige Bettelritter wurde der Ahnherr des reichen, mächtigen, aber nie übermütigen Geschlechtes der Starhemberge.


Quelle: Carl Calliano, Niederösterreichischer Sagenschatz, Wien 1924, Band I, S. 39