DAS RUPRECHTSLOCH AM GROßEN OTTER
Einmal wollte ein Mann aus der Ottergegend wissen, wie es da unten im Ruprechtsloch aussehe und ließ sich deshalb von zwei Freunden hinunterseilen. Schon war er ein ziemlich langes Stück in den finstern Schlund hinabgekommen, da wandelte ihn doch die Furcht an und laut rief er, ihn hinaufzuziehen. Durch den von den Wänden vielfach zurückgeworfenen und veränderten Schall erschreckt, ließen die Kameraden das Seil los und liefen davon. Der Mann stürzte hinab auf den Boden der Höhle und blieb dort bewußtlos liegen. Als er wieder zu sich gekommen war, irrte er suchend umher, um einen Ausgang zu finden. Schon hatte er alle Hoffnung, aus der Höhle zu kommen, aufgegeben, als plötzlich ein Bergmännchen vor ihm stand und ihn fragte, was er wolle. Vor Angst und Schrecken am ganzen Leibe zitternd, gestand dieser seine Not und bat das Bergmännchen, ihn wieder an die Oberwelt zu bringen. "Folge mir," sagte das dienstfertige Männchen, "aber achte genau, wohin ich trete." Der Mann folgte genau dieser Weisung und als sie schon eine geraume Weile so gewandert waren, kamen sie zu einer Kegelbahn der Bergmännchen. Kegel von lauterem Silber waren da aufgestellt und eine goldene Kugel lag dabei. "Wenn du uns die Kegel aufsetzt," meinte der Zwerg, "kannst du dir einen davon auswählen und mitnehmen." Der Mann ging auf den Vorschlag ein und als die Männchen ihr Spiel beendet hatten, nahm er sich den größten Kegel, wie ihm erlaubt worden war. Nun führte ihn sein Begleiter wieder weiter, bis sie zu einem großen Tore an der Ostseite des Berges gelangten. Der Mann wollte danken, aber das Bergmännchen sagte: "Wenn du dich dankbar erweisen willst, so bringe mir ein Geschenk von der Oberwelt". Auf die Frage des Mannes, was ihm am liebsten wäre, erbat es sich "Weinberl" und "Zibeben". Das Tor schloß sich hinter ihm zu und der Zwerg war verschwunden. Hoch erfreut über seine Rettung beeilte er sich, die erbetenen Gaben zu bringen. Als er mit denselben beim Tore wieder ankam, erinnerte er sich, daß er vergessen hatte zu fragen, durch welches Sprüchlein man das Tor öffnen könne und mußte unverrichteter Sache wieder fortgehen. Es war finster und nebelig geworden und er fühlte, wie sein Gewand immer schwerer werde, was er dem Feuchtwerden desselben durch den herabrieselnden Nebel zuschrieb. Zu Hause angekommen, sah er aber, daß sein Gewand über und über mit Goldtropfen bedeckt war.
Kommentar: Heinrich Mose, Niederösterreichischer
Landesfreund
Quelle: Carl Calliano, Niederösterreichischer Sagenschatz, Wien 1924,
Band II, S. 3