DAS METALLENE KÄUZLEIN VON RAUHENSTEIN
Burgruine Rauhenstein © Harald Hartmann

Burgruine Rauhenstein
©Harald Hartmann, April 2005

Vor vielen hundert Jahren hauste auf der Burg Rauhenstein bei Baden ein Ritter namens Wolf, der eine tapfere Klinge führte und vor den verwegensten Taten nicht zurückschreckte, der aber ein so rauhes Gemüt und ein so steinernes Herz hatte, daß man ihn nicht den "Rauhensteiner", sondern den " rauhen Stein " hieß. Er war mächtig und kühn und glaubte, gegen die Armen und Niedrigen sei ihm alles erlaubt, besonders wenn sie sich seinen Zorn zugezogen hatten.

Einmal wagten es zwei Badener Bürgersöhne, in den Forsten des Ritters ein Stück Wild zu erlegen. Sie wurden dabei ertappt, vor den Ritter gebracht, nach kurzem Verhör in den Turm geworfen und zum Tode verurteilt. Der alte Vater der beiden Gefangenen bot dem Schloßherrn ein hohes Lösegeld an und bat um Gnade für seine Söhne, doch der Ritter lehnte dieses Angebot spöttisch ab. Darüber geriet der Alte in größte Erbitterung und brach in wilde Verwünschungen aus. Der Rauhensteiner ließ daraufhin den unglücklichen alten Mann ergreifen und ebenfalls in den Kerker werfen.

Nun war aber dieser Bürger ein kunstfertiger Glockengießer, wie man einen zweiten nicht so leicht finden konnte, die Badener Bürgerschaft legte sich daher ins Mittel und erhob für den Alten und seine beiden Söhne Fürsprache bei dem Burgherren. Nach langen Unterhandlungen ließ sich Ritter Wolf zu einer teilweisen Begnadigung herbei, die aber so grausam war, wie sie sich eben nur ein "steinernes Herz" ausdenken konnte. Der Vater mußte, als Lösegeld für sich und einen der Söhne, eine Glocke gießen, die beim Tod des anderen zum erstenmal geläutet werden sollte. Noch dazu setzte der Ritter eine sehr kurze Frist für den Guß der Totenglocke fest, um den Alten zur Eile anzutreiben. Der Glockenguß sollte im Hof der Burg Rauhenstein erfolgen.

Man kann sich die Verzweiflung des alten Mannes vorstellen, als er sein Werk begann, um wenigstens einem seiner Söhne das Leben zu retten. Da die festgesetzte Zeit kurz war und das nötige Material nicht so rasch beschafft werden konnte, brachten die Verwandten und Bekannten dem Meister alles Metall, das sie auftreiben konnten, darunter so manches Heiligenbild, das aus Metall getrieben war. Mit zitternden Händen begann der alte Mann seine Arbeit. Seine Kunst war ihm zeit seines Lebens das Liebste, doch als er die Glocke goß, die seinem Sohn den Tod bringen würde, wünschte er, er hätte niemals eine gegossen und diese Kunst nie erlernt.

Endlich war die Glocke vollendet und wurde im Schloßturm aufgehängt. Als sie mit Klöppel und Seil versehen war, befahl der Ritter, sie zu läuten. In diesem Augenblick verlor der alte Mann den Verstand. Erstürmte die enge Wendeltreppe im Turm empor und begann wie wahnsinnig am Seil zu ziehen. Das Läuten der Glocke übertönte sein Jammern. Immer wieder verfluchte er die Glocke und flehte um Strafe für den Burgherrn. Längst war sein Sohn schon ermordet worden - oben auf dem Turm aber läutete der Wahnsinnige die Glocke weiter, ohne einen Augenblick einzuhalten. Zur gleichen Zeit brach ein schreckliches Unwetter los. Ein Blitz schlug in den Turm ein und tötete den alten Glockengießer, die Burg selbst brannte vollkommen nieder.

Burgruine Rauhenstein © Harald Hartmann

Burgruine Rauhenstein
seit dem 12. Jahrhundert im Besitz des babenbergischen Ministerialengeschlechts der 'Tursen'.
1186 werden im Klosterneuburger Traditionskodex die Brüder 'Alber et Chonrat de Ruhinstain' genannt.
Nach verschiedenen anderen Besitzern erwarb 1705 Franz Anton von Quarient und Raal die Burg, die wahrscheinlich seit 1683 unbewohnt und zum Teil zerstört war. Aus steuerlichen Gründen - damit die Burg nicht mit einer Gebäudesteuer belastet würde - ließ er sie abdecken; seither ist Rauhenstein eine Ruine.
Anfang des 19. Jahrhunderts war in der Ruine eine Kienruß- und Terpentinbrennerei eingerichtet.
Als Kaiser Napoleon am 1. Oktober von Schönbrunn aus seine Truppen in Baden besuchte, nahm er auch das Helenental und die Ruine in Augenschein, wobei er zu seinem Begleiter, General Berthier, die ahnungsvollen Worte gesprochen haben soll: "Es müßte gut sein, in diesem stillen Örtchen St. Helena sein Leben zu beschließen."
Die Burg besaß zur Zeit ihrer größten Ausdehnung über 20 Räume und konnte bis zu 100 Menschen beherbergen. Vom Bergfried hat man einen herrlichen Blick auf Baden und das Helenental. (Schöndorfer 1999, 175)
©Harald Hartmann, April 2005

Doch Ritter Wolf war reich genug, um sein Schloß wieder aufzubauen. Nach mehreren Jahren stand es schöner als vorher da, und nun wollte er seine Tochter verheiraten. Mit Musik und Glockengeläut wurde der einziehende Bräutigam feierlich begrüßt. Die Tochter des Schloßherrn stand in ihrem Brautkleid auf dem Söller und winkte dem Bräutigam zu. Dabei neigte sie sich so weit vor, daß sie über die Brüstung in die Tiefe stürzte, wo sie tot liegenblieb. In diesem Augenblick schlug die Totenglocke von selbst an.

Das war der erste der vielen Unglücksfälle, die nun über die Burg und das Geschlecht der Rauhensteiner hereinbrachen. Und jedesmal schlug die Glocke im Turm an. Man wollte das verhaßte Gebilde zerschlagen, doch hatte sich inzwischen der Aberglaube verbreitet, das Geschlecht würde aussterben, sobald die Glocke zerstört worden sei. So nahm man ihr nur den Klöppel ab und mauerte den Turm zu, um sie zum Schweigen zu bringen. Aber das Unglück blieb auch weiterhin dem Haus der Rauhensteiner treu. So oft irgendein Unheil drohte, hörte man dumpfe Glockentöne aus den Mauern des Turms. Wie ein metallenes Käuzchen ließ sie in solchen Zeiten durch die Stille der Nacht ihren Ruf ertönen. Schließlich verließen die Rauhensteiner die Burg und verkauften ihr Stammhaus einem anderen Rittergeschlecht.

Quelle: Sagen aus Österreich, ausgewählt von Käthe Recheis, S. 86-87; Zitiert aus: Ilse Schöndorfer, Steine und Sagen, Burgruinen in Niederösterreich, St. Pölten, Wien, 1999, S. 174 - 185.