EINE LIECHTENSTEINSAGE
Als die Burg Liechtenstein noch Veste Enzersdorf hieß, hauste darin ein edler Herr v. Arenstein. Verwitwet und kinderlos lebte er nebst der erforderlichen Dienerschaft hier mit seiner leiblichen Nichte Hedwig v. Senftenberg und einer Waise, Anna v. Wagau, dann mit der Hofmeisterin, Frau Jutta, einer über 30 Jahre alten Dame, die klug und geschickt das Hauswesen leitete. In der Familie herrschte eine gemütliche Einfalt, wie sie damals wohl nicht selten in Ritterschlössern anzutreffen war. Zur Dienerschaft gehörte auch ein Narr oder, wie man ihn später nannte, der lustige Rat, welcher durch drollige Hinfalle, Schwanke und abenteuerliche Erzählungen den Burgherrn zu erheitern hatte. Fräulein Hedwig v. Senftenberg, Arensteins Nichte, erst fünfzehn Frühlinge alt, besaß nebst jugendlichen Reizen eine reiche Mitgift, war aber ebenso arm an hervorragenden Eigenschaften des Geistes und Herzens. Fräulein Anna, ohne Eltern, die der edle Arenstein erziehen ließ, hatte kein Vermögen, übertraf dagegen Hedwig an Schönheit wie an Geist und Gemüt bei weitem. Eines Abends saß der edle Herr am Fenster seiner Burg und sah der niedergehenden Sonne zu, als er ein kleines, graues Männlein unten gewahrte, welches geschäftig umherging.
Diesem Treiben sah Arenstein lange und aufmerksam zu und da er keinen Grund dafür entdecken konnte, öffnete er das Fenster, um besser nachzuforschen. Doch als er sich erhob, war das Männlein verschwunden. Im selben Augenblicke trat der Lustigmacher Lipps ein, ein Mensch von zwerghafter Gestalt. Diesem erzählte der Burgherr das Gesehene, worauf Lipps erwiderte: "Ich habe dieses Männlein auch schon gesehen. Es ist der Burggeist, der unter der Veste im Innern des Hausberges wirtschaftet. Man sagt, er suche nach Goldkörnern und einem glänzenden Stein. Was er damit will, weiß kein Kluger, geschweige denn ein Narr. Wenn nun Kluge und Narren dies nicht wissen, wie sollen wir beide es wissen?" "Lipps," sagte Herr v. Arenstein mit ernster Miene, "wenn du das Burgmännlein wieder siehst, begegne ihm mit freundlichen und höflichen Manieren und forsche nach seinem Tun und Wollen." Hier traten die beiden Fräulein in Begleitung der ehrbaren Jutta in den Saal, um an der bereitstehenden Tafel das Abendmahl einzunehmen. Die Mahlzeit ging ihren ruhigen Gang, als es ganz fein, doch vernehmlich, an der Tür des Gemaches klopfte; diese wurde geöffnet und der Burggeist trat ein. Das Erdmännchen verneigte sich und sprach: "Edler Herr, ich erscheine vor Euch mit der Meldung, daß in den Mauern dieses Schlosses in Frist eines halben Jahres große Veränderungen vor sich gehen und lauter Jubel dessen Hallen erfüllen wird, denn ein neuer höherer Glanz kommt über diese Burg. Hiemit überbringe ich Euch das künftige Wahrzeichen dieses hohen Ritterhauses, dessen Mauern, obgleich oft erschüttert, oft zerbrochen und abgebrannt, doch stets in neuer Festigkeit sich erheben und dem Zahne der Zeit eine unverwüstliche Wehr darbieten werden. Seht, es ist ein Stein aus dem geheimen unterirdischen Schöße dieses Berges, welcher mit den schönsten Edelsteinen um die Wette leuchtet. Diesen Stein lasset auf der höchsten Zinne Eurer Burg anbringen, daß er sein Licht frei ausstrahle und weit verkünde: Ein lichter Stein werde diese hohe Veste verherrlichen bis in entfernte Zeiten. Auch wird in diesem Schlosse in besagter Frist eine Hochzeit stattfinden. Der Bräutigam wird in kurzer Zeit bei Euch vorsprechen; laßt Euch aber nicht beirren, wenn er ganz einfach dahergezogen kommt. Öffnet ihm die Burg, der Angesagte ist ein junger Rittersmann von edlem Geschlechte und muß jeder Jungfrau des Landes willkommen sein." "Deine ganze Botschaft ist ebenso unerwartet als deine Erscheinung. Und wer ist der Bräutigam?" fragte Arenstein.
"Das werdet Ihr früh genug erfahren," erwiderte das Männlein. "Nun wenn du mir den Namen des Bräutigams zu nennen Anstand nimmst," sprach der Burgherr, "so wirst du hoffentlich dich nicht weigern, mir jenen der Braut zu nennen." "Das mag Euch der Bräutigam sagen," entgegnete der Gnom, "da es seine Sache ist, sich unter den Frauen Eures Hauses die Braut auszusuchen." "Darf man dir," fragte Arenstein, "einen Trunk kredenzen, wie es Rittersitte und Gastfreundschaft gebietet ? Welche von euch, ihr edlen Frauen meines Hauses will unserem Gaste den Willkommbecher reichen ?" Bei dieser Frage des Gebieters gerieten die Frauen in eine sichtbare neue Verwirrung; Frau Jutta tat, als ob sie die Aufforderung nicht vernommen hätte. Nicht viel manierlicher wie Jutta benahm sich Hedwig. Da stand Anna auf, ergriff einen Silberhumpen, neigte sich vor dem Männlein und bot ihm den Trunk dar.
"Ich danke Euch, edles Fräulein," sprach der Gnom; "Gott gebe diesem hohen Hause stetes Gedeihen, dem biederen Burgherrn seinen Segen und Euch, einen ehrenwerten, lieben Gatten." Nach dieser Entgegnung verneigte er sich gegen den Schloßherrn und die Frauen und verschwand bei der Saaltür hinaus. Den lichten Stein, den der Berggeist überbracht hatte, ließ der Schloßherr auf der Zinne seiner Burg anbringen und weithin strahlte der Stein mit hellem Glanz. Einige Zeit verfloß, als mit einmal das Hörn des Turmwächters die Ankunft eines Gastes verkündete. Ein Ritter, Edelfritz Graf v. Araberg ersuchte um ein Nachtlager, auf einem Ritte nach Wien zum Turnier begriffen. Graf Edelfritz verweilte einen Tag auf der Burg. Als er tags darauf zum Turnier aufbrach, versicherte er, bei seiner Rückkehr wieder vorzusprechen. Am folgenden Morgen sprach der Arenstein zu seinen Damen: "Höret Weiber! Wir reisen zum Turnier nach Wien." Der Weg führte damals über Perchtoldsdorf nach Wien. In Perchtoldsdorf kam ihnen ein Leichenzug entgegen. Es war die Leiche des Araberger Grafen, dem die riedige Lanze des wilden Sizzo v. Eckartsau im Kampfspiel den Halskragen gebrochen und den Hals durchrannt hatte. Die Damen waren außer sich und Arenstein so betroffen, daß an ein Weiterziehen nach Wien nicht mehr zu denken war. In Trauer waren mehrere Wochen vergangen, da erschien eines Abends ein einsamer Waller vor der Pforte der Veste und verlangte Einlaß. Er trug eine graue, faltenreiche Kutte, einen weißen, breiten Pilgerhut und schien von einer langen Wanderung zu kommen.
Am folgenden Tage verlangte der Fremde, dem Schloßherrn vorgestellt zu werden. Eine hohe, herrliche, junge Rittergestalt erschien vor dessen erstaunten Blicken. Der Angekommene verneigte sich und sprach: "Ich komme aus der Steiermark, zog von Burg zu Burg, um nach dem Mädchen zu forschen, welches mein Weib werden soll. Hier habe ich es gefunden und erbitte mir dasselbe aus Eurer Hand. Es ist Fräulein Anna v. Wagau!" Mit heimlichem Ernst erhob sich der Burgherr, ging zu Fräulein Annchen und führte sie dem Fremdling zu. Es war Otto v. Liechtenstein. In diesem Augenblicke trat ein Knappe herein und meldete: "Daß der hell leuchtende Stein auf der Burg erloschen sei," worauf Herr v. Arenstein erwiderte: "Es bedürfe draußen seines Glanzes nimmer, seit ein Liechtenstein in die Burg eingezogen, der Träger eines Namens, der noch in später Zukunft als ein heller Stern am vaterländischen Himmel glänzen wird".
Kommentar: (Robert Eder.)
Quelle: Carl Calliano, Niederösterreichischer Sagenschatz, Wien 1924,
Band II, S. 29