DIE ÖSTERREICHISCHE JUDITH

In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts setzte ein gefürchteter Räuber ganz Wien in Schrecken. Hanns Aufschring, beigenannt "der Waldteufel", trieb sein Unwesen in den an Wien grenzenden Waldungen, verheerte die Umgebung mit Mord und Brand. Er war von solcher Stärke, daß er mit seinem eisernen, zwei Klafter langen Spieße drei bis vier Männer, welche ihn fangen wollten, zugleich durchbohrte, die Aufgespießten wie Feldhühner zum Hohne seiner Gesellen eine Weile herumtrug und sie dann mit dem Ausrufe: "Futter für die Raben!" von sich warf. Seine Grausamkeit und Bosheit verschaffte ihm den Beinamen "der Waldteufel". Ein hoher Preis war auf seinen Kopf gesetzt worden.

Es war im Herbst des Jahres 1370, als ein 18jähriges, holdes Mägdelein, Elsbeth, die Tochter eines Küfermeisters, den Entschluß faßte, durch List dieses Ungeheuers habhaft zu werden. Ohne den Eltern ihren Plan mitzuteilen, verließ sie das Haus und verschwand. Man erfuhr nur, sie habe bei dem ihrem Vater befreundeten Gastwirte Sebastian Gundtl, einem noch jungen Manne, einen Wagen nach Wr.-Neustadt gemietet und sei darauf mit dessen zwei handfesten Knechten samt dem Kutscher fortgefahren. Zur selben Zeit stand bereits auf der nach Neustadt führenden Straße am Wienerberg die sogenannte Teufelsmühle. Kurz nach Elsbeths Verschwinden hielt eines Abends, von Wr.-Neustadt kommend, ein Fuhrwerk vor der Teufelsmühle. Es befand sich niemand darauf als ein hübsches Mädchen und der Rosselenker. Auf dem Rückteile des Wagens lagen Decken, welche Waren zu verbergen schienen und ein großer Koffer. Der weibliche Gast wurde freundlich empfangen, in die Schankstube geleitet, ihm das beste Zimmer zur Verfügung gestellt, wohin auch sogleich der Koffer gebracht wurde. Der Wagen mußte in den Hof fahren und stellte sich unter dem Fenster auf, der Kutscher blieb bei den Pferden, die nicht ausgespannt wurden. Das Mädchen begab sich wieder in die von Gästen leere Schankstube, um das Nachtmahl einzunehmen. Kurz darauf erschien ein wildaussehender Mann in bäurischer Tracht — es war der "Waldteufel". Er setzte sich zu dem Mädchen, koste mit ihr in seiner rohen tölpischen Weise und machte ihr die eindringlichsten Liebesanträge. Das Mädchen schien selbe mit Wohlgefallen anzuhören, entflammte durch zurückhaltende und doch so beredte Koketterie immer mehr die Begierde des Unholds und schlüpfte endlich schäkernd nach ihrem Zimmer. Aufschring folgte ihr dahin und musterte schmunzelnd die reizende Gestalt, welche eben ihre Haare löste und von denselben umflossen, noch zehnmal begehrlicher aussah. "Schön bist du, Mädel! Du mußt die Meine werden und sollst es nicht schlecht bei mir haben!" rief der Waldteufel und warf sich in einen Armstuhl. "Gott sei gelobt," flüsterte das Mädchen. In dem Augenblicke, als der Räuber den Armstuhl berührte, rasselte ein verborgener Mechanismus, es griffen Eisenspangen ineinander und wie mit Blitzeseile sah sich der riesige Mann machtlos von einer gitterförmigen unzerbrechbaren Zwangsjacke umstrickt. Das Mädchen — es war Elsbeth — trat zum Fenster, klatschte in die Hände, die Decken auf dem Wagen flogen beiseite und die handfesten Knechte des Gastwirtes Gundtl sprangen in die Schankstube, wo sie vorerst den Wirt banden und knebelten, dann dem Mädchen zu Hilfe eilten. Vergebens schäumte der "Waldteufel" vor Wut und Angst. Der Sessel — ein Meisterstück des berühmten Wr.-Neustädter Waffenschmiedes Johannes Klingensporner — hatte sein Opfer mit ehernen unzerbrechbaren Armen umgarnt. Man hob den Bösewicht samt der Maschine auf den Wagen, setzte den Teufelsmüller dazu und im schnellsten Trab ging es nach der Stadt. Zuerst in das Gasthaus der Kärntnerstraße zurück, wo der Wirt mit Entsetzen in dem Waldteufel einen seiner besten Gäste erkannte. Man jubelte in ganz Wien über diesen Fang und nannte von dem Tage an das Gasthaus "beim Waldteufel", welche Bezeichnung später in die "zum wilden Mann" umgewandelt wurde. Aufschring wurde am 24. Jänner 1371 auf dem Hohen Markte hingerichtet, wobei er mehrmals ausrief: "Futter für die Raben!" Elsbeth, welche von da an im Volksmunde den Beinamen "die österreichische Judith" erhielt, heiratete bald darauf den jugendlichen Gastwirt Gundtl und schenkte die eine Hälfte des Blutpreises für Aufschrings Gefangennahme den Armen, die andere Hälfte den Begleitern beim Wagnisse.


Kommentar: (A. Wenedikt, Geschichte Wiens.)
Quelle: Carl Calliano, Niederösterreichischer Sagenschatz, Wien 1924, Band II, S. 45