DER GROßMEISTER BEI HEILIGENKREUZ
Zisterzienserstift Heiligenkreuz © Harald Hartmann

Zisterzienserstift Heiligenkreuz
© Harald Hartmann, 4. Juni 2005

Dem Prior zu Heiligenkreuz erzählte eine Frau folgendes:

Ich mache oft an Nachmittagen eine Spazierfahrt nach Alland. Da nehme ich eine Jause ein und kehre dann gegen Abend wieder zurück nach Hause. Ich gehe bei dieser Gelegenheit mitunter eine Strecke zu Fuß, besonders beim Engelkreuz vorüber. Bei diesem Kreuze hörte ich schon öfter, wenn ich vorüberging, im Walde ein Singen, dann wieder ein Winseln und darunter vernahm ich eine Stimme: "Ich bitte für den armen Sänger!" Als ich heute abends im Mondlichte wieder mit meinen beiden Kindern vorüberging, hörte ich dasselbe und meine Kinder hörten es auch. Plötzlich vernahmen wir im Walde Pferdegetrappe und ein Reiter kam zum Vorschein. Derselbe war von hagerer Gestalt, hatte einen Mantel um und auf der Brust ein Kreuz, welches aber schon etwas verwischt war, wie ein von Alter schon abgetragenes. Der Reiter blieb vor mir stehen und sagte: "Ich bitte für den armen Sänger!" Da faßte ich mir Mut und fragte: "Ja, was soll ich denn?" Er antwortet: "Beten für den Großmeister und die zwei Brüder!" Dann kehrte er sich um, ritt wieder waldeinwärts und verschwand endlich im Walde.

Quelle: Carl Calliano, Niederösterreichischer Sagenschatz, Wien 1924, Band I, S. 15