FREIMANN UND HEXE

Ein allerliebstes Histörchen erzählt uns eine alte bekannte Badener Sage von einem jungen Liebespaar, das sich im Kerkerdunkel zusammengefunden und mit seinen Kind- und Kindeskindern ein gar vornehmes Bürgergeschlecht heranzog. Ein halb verhungerter Handwerksbursche verirrte sich einst in winterlicher Nacht und kam in ein Haus, dessen Besitzer schwer krank waren, dort pflegte er, selbst krank, die beiden Kranken und erfuhr erst weit später, als er die alten Leute liebgewonnen, daß er in das Haus des verachteten Freimannes geraten. Nun sollte er gar den Freimann vertreten und wurde von diesem nach Baden geschickt, wo man eine junge Hexe eingezogen, die gar nichts eingestehen wollte. Zagend kam der junge Freimann, der gar kein Freimann war, nach Baden und die Hexe wurde ihm dort von dem Gerichtsdiener zugeführt, da der Stadtschreiber selbst krank, so sollte der Diener, auf den er sich verlassen konnte, für ihn amtieren. Aber dieser ging, als er die Delinquentin abgegeben, zum Wein und kam erst nach langer Zeit, um das grausliche Geschöpf, das ihn um sein Vergnügen gebracht, wieder in das Loch zu stecken. Der Freimannstellvertreter aber wußte, als er das junge frische Ding ersah, mit dem geängstigten Mädchen nichts anzufangen, er erbarmte sich über das fürchterliche Geschick der Eingezogenen und da geschah es, daß er zuhörte, wie der Diener ihm erzählte, wie sie in den Verdacht kam, eine Hexe zu sein. Weil die liebe Jugend aber mitteilsam, so erzählte wieder der Jüngling, wie "er dazu kam, ein Freimann zu sein", und er vergaß ganz auf das, was ihm der wirkliche Freimann in betreff der Behandlung der Hexe aufgetragen. Der Gerichtsdiener erstattete, nachdem er seinen Rausch ausgeschlafen, dem Stadtschreiber seinen Bericht mit dem Vermerk, daß die böse Hexe nichts eingestehen will. So kam der zweite Tag und da es dem Stadtschreiber an diesem noch schlechter ging, als Tags vorher, so schickte er wieder in seiner Stellvertretung den Gerichtsdiener zum zweiten Grad der Marter. Dieser scherte sich aber nicht um das Hexenwesen und schlich wieder von dannen, umsomehr, als ihm der Freimann sogar einen Zehrpfenning mitgegeben, damit er ihn auch einmal "auf das Gelingen seines Werkes" hoch leben lassen könne. Der Freimann war nun mit der Hexe ganz allein. Der Freimann verhörte die Hexe nach einer ganz eigenen Art und da die liebe Jugend auch erfinderisch, so befahl er der Hexe laut zu schreien und gottsjämmerlich zu bitten und die Leute, die an dem Gerichtshause vorübergingen, sagten, "jetzt wird die Hexe bald zu allem Ja sagen". Der Freimann aber verhinderte gar oft das Jammergeschrei der Hexe, indem er sie herzlich küßte und je mehr sie schrie, desto mehr küßte er sie und schließlich lagen sich beide voll Wonne in den Armen. Und als am dritten Tage endlich der Stadtschreiber mit dem Gerichtsdiener erschien, um die "Aussagen zu protokollieren", da war das Nest leer, die Vöglein ausgeflogen, der Teufel hat den Freimann und die Hexe geholt.

Der junge Freimann, der aber ein Freiersmann war, fühlte sich wieder ehrlich und zog mit der Hexe von dannen und man hätte von der ganzen Geschichte gar nichts erfahren, wenn er nicht als frommer Mann bei „seiner goldenen Hochzeit" alles gebeichtet hätte. Der Pfarrer, dem die ebenso traurige als lustige Mähr von dem Geschicke zweier Menschenkinder "gotteswunderlich" erschien, brachte dieselbe zu Papier und so wurde das ganze endlich bekannt, als die Kinder der Kinder dieses seltsamen Liebespaares die Geschichte ihres Geschlechtes erfuhren.


Kommentar: (Gustav Calliano.)
Quelle: Carl Calliano, Niederösterreichischer Sagenschatz, Wien 1924, Band II, S. 73