23. Der Zauberspiegel.

Zu Prottes lebte ein Schinder. Der besaß einen Zauberspiegel, aus dem jeder Dieb heraus sah.

Einer Bäuerin zu Ober-Siebenbrunn war nächtlicher Weise der Hafer aus dem Stadl gestohlen worden. Da riet man ihr, sich an den Schinder und seinen Zauberspiegel zu halten. Gesagt, getan. Und richtig: Aus dem Spiegel sah das Bild eines Siebenbrunners. Die Frau war freudig überrascht. Der Schinder wusste aber noch weiter Rat, wie sie wieder in den Besitz des gestohlenen Gutes kommen könne. Er gab ihr ein Stück geweihter Kreide. Mit der sollte sie kurz vor Mitternacht in den Stadl gehen und dort einen Kreis ziehen. Dahinein solle sie sich stellen und ruhig warten auf das, was komme. Wenn ihr auch noch so bange werden wolle, sie solle nicht aus dem Kreis! "Mit alli Teufeln kimmt der Hawan!"

Als sie daheim war, bereitete sie sich für die unheimliche nächtliche Handlung vor. Sie trat, als die Geisterstunde nahte, in den Stadl. Mit geweihter Kreide zog sie den Kreis. Die Uhr schlug zwölf. Da hob ein entsetzliches Gepolter an, die Ziegel zappelten auf dem Dache und voll Entsetzen enteilte sie dem Stadl. Der Hafer aber blieb unter solchen Umständen gestohlen.

Edgar Weyrich, Der politische Bezirk Floridsdorf-Umgebung. Wien-Leipzig-New York 1924, S. 108-109;

Quelle: Sagen, Schwänke und andere Volkserzählungen aus dem Bezirk Gänserndorf. Hans Hörler, Heinrich Bolek, Gesammelt von der Lehrerschaft des Bezirkes Gänserndorf 1951. Neuauflage 1967.
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