St. Wolfgang der Spatzenschreck.

Als der heilige Wolfgang, nachmaliger Bischof von Regensburg, noch ein schlichter Mönch im schweizerischen Kloster Einsiedeln war, fühlte er mit allen, so, vom Lichte der wahren Religion nicht erleuchtet, in der Finsternis irrten, herzinniges Mitleid und rang mit dem Herrn gar oft in nächtlichen Gebeten und allerlei Bußübung, daß er sich möge erbarmen der armen Menschheit und möge leuchten lassen des seligmachenden. Glaubens Licht allen, so durch Adams Sünde Strafe litten.

Da er nun vernahm, der Ungarn ungestüme Wildheit und lästerliche Verbrechen schrieben sich von ihrem Heidentum her, lag er seinem Abte so lange mit drängender Bitte an, er möge ihm verstatten, diesen armen Heiden das Evangelium zu predigen, bis ihn der Abt, wenn auch ob der dräuenden Gefahren schweren Herzens, ziehen ließ.

So pilgerte er denn, in selbst gewählter Armut sich des Lebens Notdurft von guten Leuten erbittend, durch sein Heimatland Schwaben, durch Bayern und die Ostmark gegen Ungarn, auf daß jenes Volk teilhaftig würde des Reiches Christi und seiner beseligenden Gnade. Der Weg führte ihn von Melk an des Stromes rechtem Gestade durch die obere Wachau und wo der Aggsbach einmündet, durch den Wolfsteiner Graben, der sich in zahllosen Windungen, von ragenden Felswänden und bewaldeten Hängen begrenzt, vom schäumenden Bache mit starkem Gefälle durchtost, als eine schattige Schlucht zur lichten Siedlung Wolfstein hinanschlängelt.

Nicht des Tales liebliche Schönheit und dessen mannigfache Reize, nicht das Spiel der Fischlein im schäumenden Gewässer und der Vöglein süßes Lied im Busch, nicht der kühlende Schatten am Waldsaum vermochte den Heiligen, so sehr er mit dem Psalmisten den Herrn in seiner Schöpfung pries, zu wonnigem Weilen zu locken. Endlich aber mußte er doch der zunehmenden Schwäche nachgeben; denn immer mehr senkte sich der reisemüde Mann gen den stützenden Stab, immer schwerer drückte die Butte mit den wenigen Habseligkeiten und etwelcher Wegzehrung die Schultern. Also gönnte er des Leibes Schwäche einige Rast und stärkenden Imbiß, stellte demnach die Trage auf einen flachen Stein und sprach, ehedenn er zugriffe nach aller guten Christen Art ein fromm Gebet. Diebische Elstern aber und kecke Spatzen hatten aus dem nahen Busche, neugierig äugend, die willkommene Atzung erspäht, umschwirrten in mißtönigem Geschrei, ihn im Gebete störend, des Heiligen Haupt, schwangen, sich als gefiederte Räuber auf die Trage und flatterten mit der leicht gewonnenen Beute im Schnabel ins Gezweig.

Wohl hätte der gute Heilige, obschon ihn selbst arger Hunger quälte, den Tierlein die geraubten Brocken gegönnt; aber daß sie, offenbar vom bösen Feinde gesendet, des Gebetes nicht achteten, verdroß ihn so sehr, daß er sie mit strafender Hand und kraft der ihm von Gott gewordenen Macht bannte.

"Hebt euch von hinnen", rief er, den Arm gegen sie erhebend, "ihr Diebsgesindel und des leidigen Satans beflügelte Diener! Wolfsteins liebliche Weitung und des Schattentales wonnig Buschwerk sei euch verboten für alle Zeit, dieweil ihr mein Zwiegespräche mit meinem Herrn und Schöpfer mit üblem Schrillgeschrei unterbrochen!"

Ob solch kräftigen Bannspruches erschrocken, zerflatterten die Vögel unverzüglich nach allen vier Winden, und bis auf den heutigen Tag gibt es in Wolfsteins lichter Mulde und im Schattengraben weder Elstern noch Spatzen noch anderes Gevögel. Nur äußerst selten zeigt sich ein beschwingter Vogel, worauf der Landmann den Zweifler berichtigt: "Na ... der hat halt vom heiligen Spatzenschreck auf 24 Stunden Erlaubnis ... ausnahmsweise halt!"

Auf daß aber des Bannspruches Gedächtnis zur Warnung bestehe, sieht man auf dem Steine, auf dem der Heilige gerastet, heute noch seine Fußspuren und der Trage rundlichen Abdruck, und ein Wegbild schildert das Begebnis in ehemals kräftigen, nunmehr durch des Wetters Unbilden blassen Farben: den bei Gebet und Mahl gestörten, mit erhobener Rechten bannenden Mönch und die mit Stücklein Brotes entflatternden Vögel.

Quelle: Wachausagen, Erzählt und allen Freunden der goldenen Wachau gewidmet von Josef Wichner. Krems an der Donau. [1920]. S. 36 - 39.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Lisa Lemberg, Jänner 2005.