Die ältesten Männer von Wösendorf.

Als ein Landbürgermeister von Amts wegen die ältesten Männer seiner Gemeinde verzeichnen sollte, gab er den Bescheid: er könne dem Auftrage nicht nachkommen, denn die ältesten Männer seien leider alle gestorben.

Von den ältesten Männern des Marktes Wösendorf, die aber wirklich und wahrhaftig gestorben sind, erzählen sich die Leute, Wahrheit und Dichtung mischend, folgendes:

Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts lebte in Wösendorf ein armer Weinhauer. Hieß Eder, stammte von den Vorfahren her aus Etzdorf am Kamp, wo die Edermühle heute noch fleißig klappert. Hatte drei Buben, den Leopold, den Josef und den kleinen Franzi, alle drei etwas schwächlicher Art, "kleber", wie die Leute meinten, der schweren Arbeit im Sonnenbrand des Weingartens wenig gewachsen.

Also sann der Vater darauf, wie er wenigstens einem ein leichteres Leben könnt verschaffen, und da ihm durch Fürsprache des Herrn Pfarrers vom hochwürdigsten, grundgütigen Melker Abte Isidor für ein Studentlein ein Freiplatz zugesichert wurde, versammelte er seine Söhne um sich und tat die Frage:

"Buben, wer von euch möcht studieren und ein geistlicher Herr werden? Und ... der Student darf beim Schneider ein schwarzes Pfoad ansrimen. Alsdann überlegt's euch ... morgen will i wissen, wie-r-i dran bin."

Am nächsten Tage sagte der Leopold bedächtig: "Vater, i möcht scho', aber i woaß nit, ob i 's derpacket die schware Kopfarbeit mit den grausam vielen Büchern."

Sagte der Josef: "Freili' wohl tat i gern studieren ... war leicht feiner, a Pfarrer sein, als die Schinderei mit Hacken und Butten."

Sagte der kleine Franz: "Vater, i hab gestern glei 's schwarze Pfoad angsrimt."

Da hat denn der Eder-Vater gesehen, daß sein Jüngster der G'scheiteste ist g'wesen. So hat er studieren dürfen, ist ein Pfarrer und manch ein Jahr später des Melker Stiftes ausgezeichneter Abt geworden, ein Mann von seltener Bedürfnislosigkeit, bewundernswerter Umsicht und Tatkraft, hat als Prälat Wilhelm weise regiert bis ins Kriegsjahr 1866, ist gestorben an der bösen Cholera im 86. Jahre seines Lebens.

Seine "kleberen" Brüder haben es gleich ihm trotz der schweren Arbeit und der Not eines armen Lebens zu hohen Jahren gebracht. Es hat der Josef das 84., der Leopold, der vierundzwanzig Kinder hatte, gar das 96. Jahr erreicht, und so dürften die drei ältesten Männer von Wösendorf im Himmel ihre Sitze wohl bei den Patriarchen eingenommen haben.

Quelle: Wachausagen, Erzählt und allen Freunden der goldenen Wachau gewidmet von Josef Wichner. Krems an der Donau. [1920]. S. 64 - 65.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Lisa Lemberg, Jänner 2005.