Der zaubernde Wilddieb von Einfaltsgraben

Vor langer, langer Zeit lebte im Hause Einfaltsgraben, welches zur Pfarre Konradsheim gehört, ein junger Bauer. Dieser war wegen seiner von ihm beherrschten Zauberkunst allseits gefürchtet und wenig beliebt. Weil er aber noch dazu einem Laster frönte, nämlich dem Wilddiebstahl, hofften die Förster, dem besessenen Bauern sein Handwerk zu legen und die Gegend von der Furcht zu befreien. Den dauernd auf der Lauer liegenden Forstgehilfen war es endlich gelungen, eine Spur des Wilderers zu finden. Als sie auf Schußweite an den Wilddieb herangekommen waren und denselben anriefen, war er jäh und spurlos verschwunden. Dank seiner Zauberkunst hatte der Wilddieb die Gestalt eines Baumstrunkes angenommen. Die Forstgehilfen, die an solche Begegnungen mit dem zauberkräftigen Widersacher schon gewöhnt waren, suchten nicht lange, sondern setzten sich gemütlich zu einer Ruhepause nach dem so vielversprechenden Beginn und dem erfolglosen Ende der Wildererjagd. Sie stopften ihre Pfeifen zu einer gemütlichen Rauchpause und nahmen ihre Taschenfeitel zu Hilfe, um auf dem Baumstrunk ihre Tabakblätter zu schneiden. Als die Ruhepause zu Ende war und die Forstgehilfen den Rastplatz verlassen hatten, begann der durch das Tabakschneiden übel zugerichtete, verzauberte Baumstrunk zu seufzen und zu stöhnen. Wieder seine frühere Gestalt angenommen, gelobte der dem Tode zweimal entronnene Wilddieb, von seiner Zauberkraft nie mehr Gebrauch zu machen. Fortan war der ehedem so gefürchtete, zaubernde Wilderer zu einem beliebten, gottesfürchtigen und jederzeit hilfsbereiten Nachbarn geworden. (Deinhofer.)

Quelle: Sagen aus dem Mostviertel, gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes Amstetten, Hrsg. Ferdinand Adl, Amstetten 1952, S. 32
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Mai 2006.
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