Beim Ludwigsdorfer Türkenkreuz

Wegsäulen und "Marterl", die unsere Straßen säumen, sind Zeugen von Ereignissen aus längst entschwundenen Tagen. Wenn du an solchen Gedenkstätten vorübereilst, dann bleiben sie stumm; verweilst du bei ihnen mit offenem Herzen, so beginnen sie zu raunen, und du erlebst ein Stückchen Geschichte deiner Heimat.

So erblickte ich bei einer Wanderung an der Bundesstraße nächst Ludwigsdorf, wo bekanntlich das Brot nur auf einer Seite gebacken wird, ein besonders schönes Wegkreuz. Es trägt folgende Inschrift: "Drei Frauen wurden im Jahre 1529 von Türken in Gefangenschaft geführt und kamen erst nach acht Jahren in die Heimat zurück." Sinnend und träumend blieb ich stehen und im leise niedersinkenden Abend erzählte mir das Ludwigsdorfer Türkenkreuz seine seltsame Mär:

Vor mehr als 400 Jahren lebte in der an der lieblichen Url gelegenen Öhlinger Mühle ein junges Ehepaar glücklich und zufrieden. Doch nur kurze Zeit währten die schönen Tage, denn es brach die schreckliche Türkennot über das Mostviertel herein. Es war im Mai des Jahres 1529, als Sultan, Soliman mit einem riesigen Heere vom Osten her unsere Heimat bedrohte. Was nützte es den Männern von Öhling, wenn sie die Urlbrücke abrissen und sich hinter Steinmauern verschanzten? Am selben Tage wie in Amstetten traf auch im freundlichen Orte Öhling eine wilde Türkenhorde ein. Diese überritten johlend die Türkensperren, die Häuser wurden in Schutt und Asche gelegt, die Männer getötet, viele Frauen gerieten aber in die türkische Gefangenschaft. Auch die junge Müllersfrau fiel in die Hände der Muselmänner, nachdem ihr Mann niedergeschlagen worden war. Unter den gefangenen Frauen entdeckte die Müllerin zu ihrem Trost: zwei Jugendgespielinnen aus Reintal und Empfing. Nun wurden die drei Frauen gemeinsam als Gefangene in die Türkei geschleppt.

Fast acht unendlich lange Jahre gingen so dahin, nur das. feste Band der Kameradschaft, ein tiefes Gottvertrauen und die Hoffnung auf eine Fluchtgelegenheit hielten die drei Frauen aufrecht. Da schlug auch ihnen die Stunde der Befreiung. In einer Nacht schreckte sie ein unterirdisches Grollen aus dem Schlafe. Die Erde wankte und bebte, krachend stürzten zahllose Häuser der Türkenstadt in sich zusammen. Auch das Haus des Paschas, in dem unsere drei Frauen gefangen waren, wurde vernichtet und begrub seine Bewohner unter den Trümmern. Wie durch ein Wunder blieben die drei Freundinnen am Leben. Das gewaltige Erdbeben hatte ihre Kerkermauern gesprengt und sie enteilten rasch der Stätte des Schreckens.

Nun hieß es aber, das Feindesland zu durchwandern. Tagsüber versteckten sie sich an einsamen Plätzen, und nur in der Nacht eilten sie mit klopfenden Herzen der Heimat zu. Nach langen und bangen Wochen erblickten sie das Silberband der Donau, die nun ihr Wegweiser wurde. Tränen der Freude vergossen die drei Schicksalsgefährtinnen, als endlich, endlich wieder deutsche Worte an ihre Ohren klangen! Mit ihren letzten Kräften durcheilten sie Wien, das Tullner Feld, die Wachau, den Nibelungen- und Strudengau. Auf der alten Römerstraße: wanderten sie von Ardagger bis Amstetten und von hier aus nach Ludwigsdorf. Und dort, an der Stelle des heutigen 'Türkenkreuzes, nahmen sie Abschied voneinander und eilten ihren Heimstätten in Öhling, Reintal und Empfing zu.

Doch nicht lange erfreuten sich die Heimgekehrten ihrer Rückkunft. Geschwächt von all den Aufregungen und Anstrengungen starben sie alle fast zur gleichen Zeit, und ihr Glück war, daß sie in der Heimaterde ruhen konnten. (Adl.)

Quelle: Sagen aus dem Mostviertel, gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes Amstetten. Amstetten 1951. S. 43 - 45.