Wie die große Neuhofner Glocke entstanden ist

Vor Jahrhunderten lebte in der Nähe von Neuhofen ein Glockengießer, der einen Lehrbuben hatte. Der Meister sollte für die Kirche von Neuhofen eine besonders große Glocke gießen. Alles war bereits zum Gusse fertig, das Metall brodelte schon. Da ging der Meister vor Beginn des Gusses noch schnell auf einen Trunk nach Neuhofen und ließ den Lehrling als Wächter zurück. Dieser stand nun sinnend vor dem Gußofen mit dem glühenden Metall. Den strengen Auftrag des Meisters ganz vergessend, berührte seine Hand den Gußzapfen, und ehe er es gedacht, rann die glühende Glockenspeise in die Form. Als er voll Angst gegen Neuhofen blickte, sah er schon seinen Meister daherstapfen. Der Lehrling erschrak fürchterlich und beschloß zu fliehen. Er holte schnell seine Sachen und machte sich aus dem Staube.

Viele Jahre vergingen ... Die Glocke, die längst auf dem Turme hing, erfreute die Gläubigen durch ihren schönen, erhabenen Ton. An den verschwundenen Lehrbuben dachte niemand mehr. Der war weit in der Welt umhergekommen, fühlte sich aber nirgends dauernd wohl. So kam er eines Abends müde und matt in die Nähe Neuhofens. Sinnend stand er vor der verfallenen Hütte seines längst verstorbenen Meisters; noch hob sich die Glockengrube etwas vom Felde ab. Da hörte er vom nahen Turm das Gebetläuten. Am Tone erkannte er seine gegossene Glocke. Der verschwundene Lehrling, der nun schon sehr alt war, dankte Gott, daß es ihm vergönnt war, die Glocke zu hören. Aus Schwäche und Aufregung konnte er nicht mehr weitergehn. Am nächsten Morgen fanden die Kirchgänger den Greis tot auf. Er wurde begraben und niemand ahnte, daß dies der verschollene Lehrling war. (Panstingl.)

Quelle: Sagen aus dem Mostviertel, gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes Amstetten, Hrsg. Ferdinand Adl, Amstetten 1952, S. 23
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Mai 2006.
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