Der Ennsstollen bei Haidershofen

Das älteste Haus in Haidershofen ist die ehemalige Taverne, das heutige Kirchenwirtshaus. Es liegt dicht bei der Kirche an der alten Überfuhr über den einst gefährlichen Ennsfluß. Vom Keller dieser Taverne aus soll einst unter dem Flußbett der Enns hindurch ein unterirdischer Gang bis zum Stift Gleink in Oberösterreich geführt haben.

In früheren Zeiten, als fremde Reiter in die Gegend kamen und alles verwüsteten, flüchteten die Bewohner von Haidershofen in diesen Unterwasserstollen. Ein unfolgsamer Knabe jedoch soll sich einmal bei der Flucht verspätet haben. Er wurde von den Feinden ergriffen und gab das Geheimnis preis.

Die Reiter versuchten nun, in den Stollen, der nur notdürftig hatte vermacht werden können, einzudringen. Der gefangene Knabe mußte ihnen vorangehen. Da der unheimliche Gang aber plötzlich steil in die Tiefe führte und glitschig war, glaubten sie sich in eine Falle gelockt und verließen, den Knaben mit sich zerrend, schnell die gruselige Stätte. Nun sollen sie noch versucht haben, Wasser in den Stollen einzuleiten, was jedoch auch mißlang. In ihrer Wut spießten sie den Knaben auf eine Lanzenspitze und setzten überall den roten Halm auf die Dächer. Die in den Stollen Geflüchteten konnten ihr Leben retten, der säumige Knabe aber büßte seine Unfolgsamkeit mit dem Leben. Der Eingang zu dem schon stark verfallenen Stollen wurde erst in jüngster Zeit, als die Enns zum See gestaut wurde, abgemauert. (Walter.)

Quelle: Sagen aus dem Mostviertel, gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes Amstetten, Hrsg. Ferdinand Adl, Amstetten 1952, S. 108
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Mai 2006.
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