Die beiden Bergmännlein

Um die Mitte des 18. Jahrhunderts, als die Hammerwerke im Ybbstal in hoher Blüte standen, war auch die Straße zwischen Hollenstein und Lassing sehr belebt. Fuhrwerke mit Roheisen und fertigen Waren kreuzten sich beständig. Einmal begegnete einem alten Fuhrmann, der diesen Weg schon oft und oft gefahren war, ein winzigkleines Männlein mit einem spitzen Hut und sagte: "Ich lasse das Männlein mit dem breiten Hut schön grüßen!" Als der Fuhnnann den Weg zurückfuhr, begegnete ihm richtig das Männlein mit dem breiten Hut. Er richtete die Botschaft aus und das Männlein erwiderte: "Ich danke dir, auch ich lasse das Männlein mit dem spitzen Hut schön grüßen!" Neunmal trug nun der Fuhrmann die Grüße der beiden Bergmännlein hin und zurück. Beim zehnten Male sagte das Männlein mit dem breiten Hut: "Heute fahre ich mit dir zum Männlein mit dem spitzen Hut." Und wirklich fuhr das Männlein mit. Merkwürdigerweise wurde aber da der Wagen so schwer, daß ihn die Pferde fast nicht mehr bergauf ziehen konnten. Erstaunt fragte deshalb der Fuhrmann: "Männlein, bist du so schwer, daß ich nicht mehr fahren kann?" "Freilich", entgegnete das Männlein, "lege ruhig deine Peitsche weg! Wenn ich nur mit einem Finger antauche, so schiebe ich dich mit deiner Ladung die Bergstraße hinauf. Glaubst du mir das?" Der Fuhrmann antwortete: ,,0 ja, schiebe nur fest und schone meine Pferde!" Und wirklich schob das Männlein mit Leichtigkeit den schwerbeladenen Wagen über den Berg. Beim Männlein mit dem spitzen Hut angelangt. reichte das Männlein mit dem breiten Hut dem Fuhrmann etliche Kohlenbrocken und sprach:

"Das ist dein Fuhrlohn." Der Alte lachte zu dem vemuteten Spott und ließ die Kohlenbrocken auf dem Wagen liegen. Daheim angelangt, sah er aber, daß die Kohlenbrocken zu Silbertalern geworden waren. die er so nachlässig auf den Wagen geworfen hatte, daß ihm wohl manche während der Fahrt herabgerollt waren. Zuerst war er über den Spuk ein wenig erschrocken und über den Verlust der schönen Silbertaler verärgert. Aber da er ein sorgloser Mann war, vergaß er bald diese merkwürdige Begebenheit. Die beiden Männlein aber sah er in seinem ganzen Leben nie wieder. (Pschorn.)

Anmerkung des Herausgebers: Diese reizende Sage rankt sich um das Hollensteiner "Grünhütl", auch "Schwielegg-Manderl" genannt. Der bekannte Heimatdichter Eduard Freunthaller, gebürtig aus Lassing und daher ein ausgezeichneter Kenner der Ybbstal-Mundart, stellt uns eine köstliche Abart zur Verfügung, die wir in der Mundart bringen:

's Schwielegg-Manderl

Quelle: Sagen aus dem Mostviertel, gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes Amstetten, Amstetten 1951,
S. 108

Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Juli 2006.
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