DAS ERDMANDL IN DER ALTEN RIED

"D' alde Riad" nennen die Leute jenes rebenbepflanzte Hügelland bei Ollersdorf. Es liegt abseits der Straße und der Häuser der Menschen. Der Ebenthaler Wald begrenzt es im Westen, und knapp am Rande steht ein Waldstock. Dieser ist von Dornengestrüpp umwuchert, an welchem von Zeit zu Zeit Blutflecken sichtbar wurden. Diese rühren von einem Morde her. Überhaupt soll es an der Stelle nicht recht geheuer sein. Man will hier nämlich an warmen Sommerabenden s' böse Erdmandel sehen. Eine kleine plumpe Gestalt mit dürren Armen und langen Fingern. Der Kopf voll schneeweißer Haare und mit einer roten Zipfelmütze bedeckt. Die Stirne runzelig, die Wangen hohl und gelb wie verregnetes Heu. Die Lippen welk, die Augen tief in blauroten Höhlen. So zeigt es sich in der Dämmerung und scheucht mit der Peitsche die Eulen in den Felsritzen auf. In seiner Gesellschaft begegnet man auch bisweilen der Waldhexe Drino, einer häßlichen und boshaften Alten. Der erwähnte Waldstock dient ihnen als Speisetisch. Ihre Schlafstätte kennt niemand. Jedermann sollte sich hüten, deren Revier ohne geweihte Gegenstände zu betreten.

Ein tollkühner Bauernknecht aus Ebenthal hat es einmal einer Wette halber versucht. Er ist nicht mehr heimgekommen, sondern ein Jäger sah ihn mit umgedrehtem Halse unter einem HIrschbarren liegen. Ebenso soll es der Küsterin aus Stillfried ergangen sein. Im Übermute spottete sie über den verhexten Waldstock und ward zur Strafe vom Erdmandl daran gebunden, während Drino sie mit glühenden Nadeln stach, bis sie elend umkam. Besonders abgesehen hat es das Erdmandl aber auf gewissenlose Anrainer. Die läßt es über einen verhexten Grenzstein stolpern und sich ein Bein brechen. Dann werden sie vom Erdmandl erwürgt. So wie jener Unglückliche, der als der reichste Bauer von Ebenthal galt. Ein Ziegenjunge fand ihn tot auf einem seiner Äcker liegen.


Quelle: Andrea Böhm: Ebenthal. Heimatchronik von den Anfängen des Ortes bis heute. Ebenthal, 1999.
(Ursprungstext von Hans Hörler und Heinrich Bolek)
Von der Autorin freundlicherweise für SAGEN.at zur Verfügung gestellt.