DIE BONAPARTENBUCHE

Im Wald außer Engelhartstetten zeigt einem jedes Kind die alte Bonapartenbudie, einen Riesenbaum, dessen Krone aber durch Sturm und Blitz viel gelitten hat. In seinem Schatten soll im Neunerjahr die französische Generalität "gemahlzeit" haben. Napoleon war dabei. Da schlich durch das Dickicht eine zerlumpte Zigeunerin herbei und drängte sich mitten unter die Soldaten. "Was will das Weib?" fragte ein Marschall. "Wahrsagen! Den hohen Herren wahrsagen!" wiederholte die Zigeunerin uneingeschüchtert. Schon funkelten ein paar Degen, da winkte der Feldherr, man möge sie gewähren lassen. Das Weib näherte sich und sagte zu Napoleon: "Ich kenn' Dich nicht, aber Du hast viele Gewalt! Geh', zeig mir Dein Pulverhorn!" Der Feldherr zeigte es ihr lächelnd. "Ei", sprach sie dann, "für morgen wird das nicht langen!" Die Offiziere kicherten laut. Napoleon aber schwieg. "Nun heb' mir einer den Hinterfuß seines Leibrosses", bat die Zigeunerin weiter. Es geschah. "Oh", rief sie entsetzt aus, "man wird ihm das arme Tier unter dem Leibe töten!" Und wiederum lachte die Runde. Napoleon blieb ernst. "Du zweifelst?" fuhr das Weib weiter kühn fort. "Nun weiß ich, wie Du heißt und wer Du bist. Reich mir Deine Rechte!" Willenlos tat es der Kaiser. Die Zigeunerin besah seine Schicksalslinien, plötzlich ließ sie seine Hand fahren und rief enteilend: "Unglücklicher, Du verlierst die Schlacht!" Napoleon erfaßte plötzlich Zorn, er griff hastig nach seinem Dolde und schleuderte ihn der Fliehenden nach. Dieser verfehlte aber sein Ziel und blieb in einem Buchenstamm haften. Tags darauf unterlagen die Franzosen tatsächlich in der Schlacht bei Aspern und Esslingen. Die Dolchwunde in der Baumrinde will aber bis heute nicht vernarben.


Quelle: Hans Schuckowitz, Kriegs- und Schlachtensagen aus dem Marchfelde. - In: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde in Berlin, Heft 4, 1899