VON DEN SALIGEN FRAUEN

Mit "saligen Frauen" bezeichnen die Bewohner des Mölltales und des Drautales hehre und lichte Gestalten, die in Höhlen, Grotten und an Wässern wohnten. Sie verkehrten gerne mit Menschen, die in ihrer Nähe angesiedelt waren, und kamen aus ihren Höhlen herunter, um ihnen bei den Arbeiten in Haus und Feld helfend zur Seite zu stehen. Nur durfte man ihnen dafür keinen Lohn geben, sonst erschienen sie nie wieder. Im Umgange waren sie ernst und schweigsam und redeten nur, wenn sie allein waren. Sie hatten schöne Haare und eine liebliche Stimme. Nie nahmen sie Speise von den Menschen zu sich.

Eine solche salige Frau kam ehedem im Mölltale allemal zu einem Bauern, wenn in dessen Hause Brot gebacken werden sollte. In aller Frühe, wenn die Dirnen am Backtrog erschienen, lag das Brot jedesmal schon fertig auf dem Tische. Das tat die Salige; alle Arbeiten beim Backen verrichtete sie im stillen allein und verschwand dann wieder, wie sie gekommen. Stets trug sie dasselbe Gewand, das alt zwar, aber immer nett und reinlich war. Viele Jahre hindurch war sie so gekommen und gegangen, als die Hausleute auf den Gedanken verfielen, sich ihr dankbar zu erweisen. Es wurde für sie eine neue Kleidung angefertigt und, als wieder Backenszeit war, zum Backtrog hingelegt. Die Leute aber zogen sich in ein Versteck zurück, von wo aus sie beobachten konnten, was die Wohltäterin anfangen würde. Sie erschien wirklich wieder am frühesten Morgen und wollte sich schon an ihre Arbeit machen, als sie das Gewand neben dem Backtroge bemerkte. Da wurde sie traurig und rief unter Tränen:

"Hintn sehen, vür sehen
I derf nit mer in Tag gen."


Dann kehrte sie sich um und ging von dannen ohne von der Kleidung und den hingestellten Speisen etwas anzurühren. Von dieser Stunde an war sie nie mehr zu sehen.

Franz Pehr, Kärntner Sagen. Klagenfurt 1913, 5. Auflage, Klagenfurt 1960, Nr. 64, S. 132