DER DANK DES BERGMÄNNLEINS

In dem fruchtbarsten Tale Kärntens, dem Lavanttale, breitete sich vor alten Zeiten ein weiter See mit dunkelgrünem Wasser aus, von mächtigen Bergen eingerahmt, die seine Fluten am Abfluß hinderten. Nur wenige Leute wohnten an den Ufern, denn zu Zeiten stieg das Wasser plötzlich und schwemmte die menschlichen Ansiedlungen, die zu nahe dem Ufer standen, hinweg. Im Innern der Koralpe hausten damals Zwerge. Sie schienen emsig zu schaffen, denn oft wurden sie von Bauern aus der Ferne beobachtet, aber niemand wußte zu sagen, worin ihre Arbeit bestand. Dennoch verbreitete sich in der Gegend das Gerücht, daß die Zwerge Gold und andere Schätze in Haufen aus dem Berge trügen und an unzulängliche Orte brächten. Da verabredeten sich die Bauern, ihnen die Schätze abzunehmen, und erspähten eine Gelegenheit, wo sie ein Zwerglein fingen, um seine Genossen zur Herausgabe ihrer verborgenen Schätze zu zwingen. Es wurde in sicheren Gewahrsam gebracht und lange Jahre gefangen gehalten, obwohl es immer von neuem beteuerte, keine Schätze zu besitzen. Die Habsüchtigen glaubten seinen Worten nicht und ließen es dreißig Jahre in der Gefangenschaft schmachten; nur wenn es ihnen den Schatz der Zwerge ausliefere, sollte es zu den Seinen wiederkehren dürfen.

Von unerträglicher Sehnsucht nach dem Berge gequält, eröffnete der Kleine seinen Peinigern endlich, daß er ihnen zwar kein Gold verschaffen könne, aber sich durch eine Tat dankbar bezeigen wolle, die allen Anwohnern des Sees ungeheuren Nutzen bringen werde. Damit begnügten sich die Menschen und ließen ihn laufen. Nach einigen Tagen vernahmen sie ein furchtbares Rollen im See, das fernem Donner glich. Alles eilte bestürzt dem Wasser zu, man fürchtete ein neues Unheil. Aber welch freudige Überraschung bot sich den Leuten, als sie sahen, was der Zwerg getan. Das Wasser war verschwunden und ein breites Tal dehnte sich vor den Erstaunten aus, dessen schlammiger Boden vortreffliches Ackers und Wiesenland spendete. Nach und nach bauten sich dort Menschen an und so entstanden auf den Hängen und im Talboden die zahlreichen Ansiedlungen, denen man den Wohlstand von weitem ansehen kann. An jener Stelle, wo der See am tiefsten gewesen, wurde Wolfsberg erbaut.

Franz Pehr, Kärntner Sagen. Klagenfurt 1913, 5. Auflage, Klagenfurt 1960, Nr. 33, S. 69