DER BERGKNAPPE

In der Mitternachtsstunde wanderte ein Bergknappe durch den Höllengraben nach Hause. Ringsum war es still, nur der Wildbach im Graben rauschte, einige Sternlein funkelten am Himmel. Da kam es ihm plötzlich vor, als höre er eine Stimme. Er fuhr erschreckt auf, blieb stehen und horchte. Da vernahm er deutlich die Worte: "Das Rotkäppel läßt das Grünkäppel schön grüßen, möcht' morgen auf die B'stattung kommen." Und wie er langsam und beklommenen Herzens weiterging, kam er auf eine Bergwiese zu einem hohen Zaun. Da blieb er vor Schreck fast gelähmt stehen; vor ihm auf dem Zaune saß ein kleines Männchen, das ein rotes, schildloses Kappchen auf hatte. "Ich sag dir's, geh morgen da nicht vorüber, sonst geht's dir nicht gut; da hast!" rief es ihm zu und warf ihm einen Beutel Gold vor die Füße. Der Bergknappe hob den Beutel auf, versprach, nicht zu kommen, bedankte sich und eilte vergnügt nach Hause.

Am andern Tag schüttete der Knappe das Gold auf die Tischplatte, daß alles funkelte. "Nun sind wir reiche Leute", sagte er, "und ich brauch' mich ums tägliche Brot nicht mehr so abzurackern." Schlegel und Hammer warf er in die Rumpelkammer und das abgenützte Sitzleder ins Feuer. Am Abend aber, als er in der Schenke saß und ihm der Wein in den Kopf stieg, dachte er sich: "Was kann es denn sein, wenn ich auf die Wiese hinaufgehe, möchte doch wissen, was die Knirpse dort machen." Die Neugierde plagte ihn zu sehr, und so schlich er auf die Wiese hinauf und versteckte sich hinter dem Zaun.

Als es in der Dorfkirche zwölf Uhr schlug, sah er einen Zug von kleinen Männchen mit roten und grünen Käppchen. Sie gingen in raschem Schritte mit einem schwarzen Sarge knapp beim Zaun vorbei. Dem Knappen stiegen die Haare zu Berge, es gruselte ihn durch alle Glieder. "Was machst du da, warum hast du dein Wort nicht gehalten?" schrie ein Rotkäppchen, das plötzlich vor ihm stand, und gab ihm mit der Faust zwei Schläge ins Gesicht, daß er bewußtlos zu Boden sank.

Am Morgen fand man den Armen auf der Wiese liegend. Man trug ihn nach Hause, wo er in eine schwere Krankheit verfiel. Wohl wurde er wieder gesund, aber das Gold war verschwunden und er mußte wieder zu Schlegel und Hammer greifen.

Aber über die Wiese durch den Höllengraben zu gehen, wagte er seitdem nicht mehr.

Franz Pehr, Kärntner Sagen. Klagenfurt 1913, 5. Auflage, Klagenfurt 1960, Nr. 72, S. 146