Das heimliche Gericht

Im Schlosse Wasserberg bei Gail soll einst ein heimliches Gericht bestanden haben. Ritter aus der Umgebung kamen an jedem siebenten Vollmonde hier zusammen und setzten sich mitten im Schlosshofe auf Steinsitze, um Gericht zu halten über die Verbrecher, die man weit und breit in der Gegend aufgehoben und in den Turm des Schlosses geworfen hatte. Alle Ritter waren schwarz gekleidet und hatten Larven vor dem Gesichte, so dass sie nicht erkannt werden konnten. Der erste unter ihnen soll immer ein vornehmer Herr von Seckau gewesen sein. Die Verbrecher wurden einzeln vorgeführt und vernommen, dann aber ohne Gnade und Barmherzigkeit zum Tode geführt. Lebend kam keiner mehr aus dem Schlosse heraus, denn jeder, der hineingebracht wurde, hatte bereits das Maß seiner Sünden voll.

Die Todesstrafe wurde durch die eiserne Jungfrau, ein aus einem Kasten mit scharfgeschliffenen Messern bestehendes Marterwerkzeug, vollzogen.

Als einmal das Schloss umgebaut worden, fand man eine tiefe Grube mit Mordwerkzeugen. Diese, wie auch die eiserne Jungfrau wurden später stückweise aus dem Schlosse verschleppt und aus der Grube selbst mehrere Wägen voll Menschengebeine, die Überreste der Hingerichteten, nach Gail überführt und dort auf dem Friedhofe in geweihter Erde bestattet.

Noch wird in der Schlosskapelle zu Wasserberg einmal im Jahr ein heiliges Messopfer für die Toten dargebracht.

Auffallend soll es den Bewohnern gewesen sein, dass zuweilen um Mitternacht eine schwarze Kutsche auf der Straße dahergefahren kam, mit Schlag zwölf Uhr in den Schlosseingang einfuhr, wo schwarze Gestalten, mit Fackeln versehen, das Tor öffneten und schlössen, und die Gefangenen in Empfang nahmen. Diese schwarze Kutsche, auf welcher vorne eine, hinten zwei schwarze vermummte Gestalten saßen, soll von vielen Leuten in damaliger Zeit wohl in das Schloss einfahren, aber niemals wieder herauskommen gesehen worden sein. Man glaubt, dass der Teufel selbst solche Bösewichte, die schon mehr als genug Gräueltaten auf dem Gewissen hatten, wenn sie nicht vom Arme der Gerechtigkeit aufgegriffen werden konnten, dem heimlichen Gerichte zu Wasserberg überlieferte, um alsbald deren Seelen in Empfang zu nehmen.

Quelle: Johannes Kainz, Mythen und Sagen aus dem steirischen Hochlande, Bruck a. d. Mur, zit. nach Sagen aus Kärnten, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1993, S. 169 - 170.