DER BROCKNERJACK UND DIE SCHÖNE BINDERIN

Vor einigen hundert Jahren trieb im Mölltale Kärntens und im Pustertale Tirols ein arger Zauberer sein Unwesen. Unter dem Namen "Brocknerjack" war er und als "schöne Binderin" sein Weib allgemein gefürchtet. Oft schon war er in seiner Heimat zu Lienz eingezogen worden, aber immer entkam er auf die eine oder die andere Art den Händen der Gerechtigkeit; denn er durfte nur ein klein wenig die Erde berühren, und die Freiheit war ihm durch seine Zauberkünste gewiß.

Nur wenn es gelang, ihn unvermutet zu überfallen und in der Luft gleichsam in der Schwebe zu erhalten, nur dann, ging die Sage, war man im Stande, ihn zu überwältigen.


Wieder verbreitete sich im Mölltal das Gerücht, der Brocknerjack sei gefangen und werde auf dem Richtplatze zu Lienz lebendig verbrannt werden. Haufenweise strömte am bestimmten Tage das hierüber erfreute und zugleich neugierige Volk über den Iselsberg nach Tirol und wollte selbst Zeuge der endlichen Vernichtung seines langjährigen Quälgeistes sein. Auf der Höhe des Berges kam den Leuten ein unbekannter, alter Mann nachgeeilt und frug einen nach dem andern, wohin er gehe, und auf den Bescheid: "nach Lienz, um den berüchtigten Brocknerjack verbrennen zu sehen" sagte der Fremde mit höhnischem Lächeln, da müsse er auch dabei sein; denn ohne ihn könne das interessante Schauspiel nicht stattfinden. Und damit verdoppelte er seine Schritte und überholte nach und nach alle, welche des Weges zogen. Den guten Mölltalern kam der Fremde mit seinen unbegreiflich schnellen Schritten und seinem fast gespenstischen Aussehen zwar nicht recht geheuer vor, doch ließen sie sich dadurch nicht irre machen und wanderten frohes Mutes weiter.

In Lienz auf dem Richtplatze angekommen, fanden sie wohl einen schönen Scheiterhaufen, doch keinen armen Sünder; die Tiroler selbst aber standen mit langen Gesichtern und offenen Mäulern vor dem Gerichtshause, und die Häscher und Schließer, der Scharfrichter und seine Knechte krochen umsonst vom tiefsten Kerker bis auf den Dachboden und in die Rauchfänge. Der Brocknerjack war und blieb verschwunden.

Mit getäuschter Hoffnung und von neuer Furcht erfüllt, kehrten die Mölltaler in die Heimat zurück und merkten gar bald, daß der böse Zauberer selbst sie auf dem Iselsberg in der Gestalt des Fremden geäfft hatte.

Dem einen war inzwischen die schönste Kuh gefallen, dem andern hatte eine Feuersbrunst Haus und Hof verzehrt; diesem war vom Hagel das üppigste Weizenfeld zerschlagen worden, jenem hatte einjäh angeschwollener Bach die fetteste Wiese mit Steingerölle überschüttet. Allgemeines Jammern und Wehklagen erhob sich im Tale, und von Tag zu Tag trieben der Brocknerjack und sein Weib, die schöne Binderin, ihr Wesen ärger. Zu ihren vorzüglichsten Zaubereien gehörte die Kunst, sich in beliebige Tiere zu verwandeln, und am liebsten war dem Brocknerjack die Gestalt eines Bären, unter welcher er den Bauern ihr Vieh raubte und sie selbst nicht wenig ängstigte.


Quelle: J. Rappold, Sagen aus Kärnten, Graz 1887, Seite 116