DIE BERCHTRA

Die Berchtra oder Perchtl ist ein riesiges Weib, hat nur Lumpen oder ein Tierfell am Leibe und trägt am Rücken eine Kuhschelle aus Messing und in der Hand eine Ofengabel. So erzählt das Volk in Kärnten. Am Perchtltag, dem Vorabend des Dreikönigstages, durchzieht sie mit ihrem Gefolge die Dörfer und erweckt Neugierde und Schrecken, besonders unter den Kindern. Den braven schenkt sie Nüsse und Bäckerei, widerspenstige und unfolgsame nimmt sie mit sich und knirscht dabei mit ihren langen Zähnen wie eine Hexe. Im Gehen ruft sie: "Kinder woder Speck, derweil geah i nit weck!" Darum gibt man ihr auch hier und da Speck, Wurst oder Mehl und dergeichen.

Am Perchtltage soll man Mohnkuchen essen. Wer das nicht tut, dem schneidet die Perchtl den Bauch auf und stopft ihn mit Häckerling und Sägespänen voll. Nicht selten sieht sie sich den Rocken der Spinnerinnen an, und wenn noch Werg daran hängt, so verdirbt sie jedes Gespinst. Oder sie nimmt das Werg herab, wickelt es um den Finger der Spinnerin und verbrennt es daran. An diesem Tage werden im ganzen Lande die Häuser und die Stallungen ausgeräuchert, indem man Weihrauch und Speik auf die Glutpfanne streut und mit geweihter Kreide die Anfangsbuchstaben von den Namen der heiligen drei Könige an die Türen geschrieben, damit nicht die gefürchtete Berchtra über die Schwelle trete und Unheil stifte.

In manchen Gegenden, so im Mölltale, erscheint sie als grausliches Weib in einem Tigermantel und ohne Kopf. Zeigt sie sich mit dem Kopfe, so hat sie Augen wie Glasscheiben. Sie erschien aber auch schon als ein Haufen von Ästen, als "Labdrift'n" und als grauer "Wuzel" voll Schellen. Wenn sie von den in der Dreikönigsnacht aufgestellten Speisen kostet, oder wenn nachts der Himmel klar ist, so gibt es ein gutes Jahr. Wo man aber an ihrem Abende zu räuchern vergißt, da erscheint sie wie bei einem Bauern in der Fragant, wo sie des Nachts einen Menschen aus dem Hause holte. Als sie ihn am Morgen wieder brachte, war er tot und hatte fremde Blumen an den Händen und Füßen. Wahrscheinlich hatte sie ihn in ferne Länder getragen.

Bisweilen spannt sie auch eine Kette um den ganzen Ort, so daß die Leute weder heraus- noch hineinkönnen. Erst durch allerlei fromme Verrichtungen wird der Bann gelöst. Besonders gefürchtet ist das unheimliche Gelichter, das mit ihr zieht und das man weder durch fromme Lieder noch durch Bannsprüche verscheuchen kann. Diese greulichen Gäste kamen oft in die Häuser, in denen nicht geräuchert worden war, rissen mißratene Kinder heraus und sprangen mit ihnen im Mondschein über die Zäune, ja sogar über Bäume. Oft fand man die Kinder im Schnee wieder, manchmal aber war keine Spur mehr von ihnen zu entdecken. Im Glantale heißt es, man höre die Berchtra oft in der Nacht am Flusse waschen. Sie erschreckt dort auch gern die Weiber und Mädchen, die am Samstag nach Feierabend noch waschen.


Quelle: Götter- und Heldensagen, Genf 1996, Seite 601