Der Stock im Eisen

Vor langer Zeit lebte in Wien ein Schlosserlehrling, der ein gar lockerer Vogel war. Einst schickte ihn sein Meister vor die Stadt, um mit dem Schubkarren Lehm zu holen. Als der dort ankam, fand er da mehrere Knaben, die sich mit Spielen ergötzten. Schaufel, Spaten und Schubkarren ließ er liegen und stehen, gesellte sich den Spielern bei und spielte, bis die Sonne hinter den Bergen verschwand. Endlich gedachte er der Arbeit; weil er aber die schönste Zeit mit Spiel und Kurzweil vergeudet hatte, kam ihm dabei die Nacht auf den Rücken, und als er am Stadttor anlangte, fand er es geschlossen.

Jetzt war guter Rat teuer; denn für das Öffnen des Stadttors hätte er dem Torwart einen Sperrkreuzer entrichten müssen und den besaß er nicht. Tränen rollten über seine Wangen. „Des Teufels möchte ich sein,“ rief er, „wenn ich nur in die Stadt könnte!“ – Kaum hatte er so vermessen gesprochen, stand schon ein Männlein in rotem Wams vor ihm und sagte: „Was weinst du, Junge?“

„In die Stadt soll ich und das Tor ist geschlossen, einen Sperrkreuzer habe ich nicht und Schläge drohen vom Meister.“

„Di sollst einen Sperrkreuzer erhalten, keine Schläge bekommen und ein geschickter Schlosser werden, wenn du mein sein willst, sobald du während deines Lebens einen einzigen Sonntag die Messe versäumst.“

Das kann leicht sein; der Böse soll mich nicht bekommen, denkt der Schlosserjunge und eht in seinem Leichtsinne den Vertrag ein.

So bekam er den Sperrkreuzer und daheim – keine Schläge.

Des anderen Tags, als Meister, Gesellen und Lehrjunge arbeiten, kommt das rote Männlein und bestellt einen eisernen Ring mit einem künstlichen Schlosse für die Wiener Eiche. Dieser Baum war der letzte Rest des Waldes, der einst bis hart an die Stadt herangereicht hatte. Weder der Meister noch die Gesellen wagten, den Auftrag auszuführen. Da stellte sich das Männlein aufgebracht und rief: „Was seid ihr für armselige Schlosser! Euer Lehrjunge ist geschickter als ihr alle zusammen!“

„Wenn mein Lehrjunge das Schloß fertig bringt,“ entgegnete höhnisch der Meister, „so soll er augenblicklich frei werden und Gesell sein.“

„Meister, es gilt!“ schrie der Junge und in einer guten Stunde waren auch Ring, Schlüssel und Schloß fix und fertig. Hierauf ging er mit dem roten Männlein zu Eiche, umgab sie mit dem Ringe und legte das Schloß an. Das Männlein sperrte es zu, steckte den Schlüssel zu sich und verschwand. Seit dieser Zeit nannte man den Baum den Stock am Eisen.

Der Lehrjunge wurde freigesprochen und ging als Gesell, wie es Handwerksbrauch ist, in die Fremde. Nach einiger Zeit kehrte er wieder nach Wien zurück. Da hörte er, der Stadtrat wolle demjenigen Schlosser das Bürger- und Meisterrecht in Wien verleihen, der zum künstlichen Schlosse  an der Wiener Eisen einen passenden Schlüssel fertige. Gleich bot unser Gesell dem Stadtrate seine Dienste an.

Dies Unternehmen war aber dem roten Männlein nicht recht. So oft der Schlosser den Schlüssel in die Esse legte, und den Schlüsselbart anzuschweißen, drehte eine unsichtbare Hand den Bart um – und der Schlüssel sperrte das Schloß nicht auf. Da setzte der listige Schlosser schnell den Bart verkehrt herum an den Schaft des Schlüssels; die unsichtbare Hand drehte ihn abermals um; aber nun saß der Bart so an dem Schafte, wie es sein mußte, daß man das Schloß damit öffnen konnte.

Der  Schlosser ging dann mit dem Stadtrate zum Stock am Eisen, sperrte das Schloß auf und erhielt dafür Bürger- und Meisterrecht. Das freute ihn über alle Maßen; er jauchzte hellauf, schlug zum Andenken einen Nagel in die Eiche und warf den Schlüssel voll Freude in die Luft, um ihn mit der Hand aufzufangen. Doch er ist bis heute noch nicht heruntergefallen.

Des jungen Meisters Geschicklichkeit wurde weit und breit bekannt; bald lebte er in Glück und Reichtum dabei vergaß er des lieben Gottes nicht und ging jeden Sonntag in die heilige Messe.

Der Böse aber ließ nicht ab, ihn ins Verderben zu ziehen. Er regte zu diesem Ende im Schlosser die Spielwut an. An einem Sonntage vormittags saß unser Meister im Weinkeller „Zum steinernen Kleeblatt“, war lustig und guter Dinge und pflegte mit seinen guten Freunden des Würfelspiels. Da fuhr er plötzlich in die Höhe. „Zehn Uhr ist es!“ rief er, „ich muß in die Messe.“

„Bleib doch, es ist ja noch Zeit; zur Halbzwölfuhr-Messe kommst du noch früh genug,“ lockten die guten Freunde und so bleib der Meister, das Spiel ging fort und er versäumte darüber – die Zehnuhr-, die Elfuhr- und schließlich die Halbzwölfuhr-Messe. Als er auf dem Kirchhofe von St. Stephan ankam, hatte der Priester bereits den Segen gegeben, die letzte Messe war versäumt.

So kam Martin Mux, der berühmte Schlossermeister, nach dem Vertrage, den er als Lehrjunge mit dem Bösen leichtfertig geschlossen, in dessen Gewalt und nahm ein schreckliches Ende.

Alle Leute, die ihn kannten, hatten Erbarmen mit ihm. Alle Schlossergesellen aber, die auf ihrer Wanderschaft in die schöne Stadt Wien kamen, suchten den merkwürdigen Stock am Eisen auf. Jeder von ihnen schlug zu Ehren des geschickten und listigen Meisters in den Baumstamm einen Nagel ein. So wurde der Stamm im Laufe der Zeit mit Nägeln über und über bedeckt und aus dem Stock am Eisen ist mit der Zeit der Stock im  Eisen geworden.

Nach Ziska

Quelle: Österreichisches Sagenkränzlein, Hans Fraungruber, Wien, Stuttgart, Leipzig 1911
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Dezember 2006.
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